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Schlussakt

Schlussakt

Titel: Schlussakt
Autoren: Marcus Imbsweiler
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musikalischen Zustände in der Stadt, als mich
jemals interessiert hatte.
    Die Heidelberger Oper, so erfuhr ich, war klein, aber fein,
das Theatergebäude schön, aber marode. Leute wie Frau von Wonnegut besuchten
natürlich auch das Mannheimer Nationaltheater, fuhren nach Frankfurt, zu den
Schwetzinger Festspielen oder gleich nach Salzburg, wenn ihre Knochen
mitspielten, ihr Herz jedoch – bei diesen Worten legte sie beide Hände fest auf
ihren Busen –, ihr Herz schlug ausschließlich für das altersschwache Haus in
Heidelbergs Zentrum.
    »Sie können es übrigens von hier aus sehen«, sagte sie. »Zumindest
das Dach. Die Dächer, wenn man es genau nimmt.«
    Ich nickte kauend. Dächer interessierten mich nicht.
    Um dem finanzschwachen Opernbetrieb auf die Beine zu helfen,
hatte man schon vor Ewigkeiten einen Förderverein gegründet und ihm den schönen
Namen Freunde des Musiktheaters Heidelberg gegeben. Vorsitzende seit
anderthalb Jahrzehnten: Elke von Wonnegut. Die Vereinsmitglieder waren sowohl
Musikliebhaber als auch Lokalpatrioten, und zugunsten der Oper rissen sie sich
sämtliche Beine aus. Verpflichteten Sponsoren, vermittelten Gastspiele, nutzten
ihre weitverzweigten Kontakte zu Wirtschaft und Politik. Dass der Startenor X
hier zuletzt seinen Schubert-Abend gegeben habe, sei nur dem rührigen
Vereinsmitglied Y zu verdanken gewesen.
    Wieder nickte ich. Der Name des Vereinsheinis sagte mir
etwas, er stand alle naslang in den Klatschspalten der Regenbogenpresse. Von
dem Sänger hatte ich noch nie etwas gehört.
    Ohne die Freunde des Musiktheaters hätte die Stadt den
Opernbetrieb längst eingestellt, behauptete Frau von Wonnegut. Dann wäre
Heidelberg endgültig musikalische Provinz.
    »Und wie wird man Mitglied in Ihrem Verein?«, wollte ich
wissen. »Darf da jeder mitmachen?«
    »Aber natürlich«, rief die Alte empört. »Jeder, dem das Wohl
der Musik am Herzen liegt. Sicher achten wir darauf, dass man sich entsprechend
einbringen kann. Man muss schon aktiv fördern können, wenn Sie verstehen, was
ich meine. Karteileichen, die sich nur mit der Mitgliedschaft schmücken wollen,
brauchen wir nicht.«
    »Aktiv fördern heißt …«
    »Aktiv heißt aktiv, Herr Koller«, entgegnete sie ungeduldig.
»Vermitteln, unterstützen, ein Netzwerk bilden. Ohne das geht heutzutage nichts
mehr im Kulturbereich. Die Erfolgsformel besteht in einer gelungenen Mischung:
auf der einen Seite die künstlerisch Verantwortlichen, auf der anderen die
Entscheidungsträger aus Politik und Wirtschaft. Dass uns die ehemalige
Oberbürgermeisterin die kalte Schulter gezeigt hat, war eine Ausnahme. So etwas
wird nie wieder vorkommen.«
    »Und Bernd Nagel?«
    »Als Geschäftsführer des Philharmonischen Orchesters ist er
selbstverständlich eines der wichtigsten Mitglieder. Ich habe vergangenes Jahr
persönlich dafür gesorgt, dass er in den Vorstand gewählt wird.«
    »War Annette Nierzwa auch dabei?«
    »Ich bitte Sie.« Indigniert wandte sie sich ab.
    Eine Garderobiere war also offensichtlich nicht in der Lage,
die Musik in Heidelberg aktiv zu fördern. Ihre Aufgabe bestand darin, den
Vereinsmitgliedern nach einer Premiere in den Mantel zu helfen oder ein
Stäubchen vom Jackett zu pusten. Und wenn ich Frau von Wonneguts pikierten
Gesichtsausdruck richtig interpretierte, war die Tote dieser Pflicht nur
ungenügend nachgekommen.
    »Wie auch immer«, sagte meine Gastgeberin, nachdem sie sich
ausgiebig geräuspert hatte. »Die Freunde des Musiktheaters haben sich in
den letzten Monaten neue, ehrgeizige Ziele gesteckt. Den Anstoß gaben die
Schreckensmeldungen über den Zustand der städtischen Bühnen. Dass hier
investiert werden muss, ist offensichtlich, und dass unser Gemeinderat dafür
kein Geld ausgeben möchte, noch viel offensichtlicher. Sie haben die
Diskussionen sicher in der Presse verfolgt.«
    »Sicher.«
    »Vereinsintern sind wir uns einig, dass Heidelberg ein neues
Opernhaus braucht. Das jetzige ist, wie erwähnt, ein Juwel, aber ein zu
kleines, enges und nun auch noch sanierungsbedürftiges Juwel. Es gibt zwei
Planungen: entweder ein Erweiterungsbau auf dem bestehenden Theatergelände oder
ein Neubau an anderer Stelle.«
    »Wo denn?«
    Sie zuckte die Achseln. »Am Bahnhof, integriert in den
geplanten neuen Stadtteil. Oder am Neckar, als repräsentatives Gebäude. Da ist
vieles möglich. Wenn ich daran denke, dass sie in Hamburg die Elbphilharmonie
genehmigt bekommen haben …
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