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Schlussakt

Schlussakt

Titel: Schlussakt
Autoren: Marcus Imbsweiler
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Versuch mag es wert sein. Also
erzählen Sie mir alles, was heute Abend passiert ist, damit ich mir ein Bild
machen kann. Oder lassen Sie es bleiben, aber das müssen Sie dann Marc
persönlich erklären.«
    Ich lehnte mich zurück und verschränkte die Arme vor der
Brust. Unter Nagels linkem Auge zuckte ein Muskel. Er schwieg eine Zeit lang,
in das Spiel seiner Finger versunken.
    »Gut«, sagte er schließlich. »Fragen Sie.«
    »Also, zum dritten Mal: Wie war das, als Sie Ihre Freundin
fanden?«
    Er holte tief Luft, atmete aus, senkte den Kopf. Dann hob er
ihn wieder. »Ich bin während des Schlussapplauses raus. Machte Marc ein
Zeichen, dass wir uns oben in meinem Zimmer treffen sollten. Ich saß ja die
ganze Zeit auf einem der Sperrsitze, gleich beim Ausgang. Dann lief ich hoch,
schloss die Tür auf und sah sie da liegen.«
    »Und weiter?«
    »Keine Ahnung. Ich stand nur rum, ohne einen klaren Gedanken.
Bis Marc kam.«
    »Er sagte, Sie hätten bei der Toten gekniet.«
    »Ja, richtig. Ich habe ihr Gesicht … Ich habe sie
gestreichelt, glaube ich.«
    »Sonst etwas angefasst? Die Kleider, Gegenstände?«
    »Nein. Nicht dass ich wüsste.«
    »Haben Sie nicht nachgeprüft, ob sie tot ist oder vielleicht
nur ohnmächtig?«
    Nagel überlegte. Eine dunkle Strähne fiel in seine Stirn, er
schob sie zurück. »Wie prüft man das?«, fragte er, mir sein blasses Gesicht
zuwendend. »Ob Menschen tot sind, meine ich.«
    Depp, dachte ich. Und dieses Bübchen wollte ein komplettes
Orchester managen? Laut sagte ich: »Haben Sie sie exakt so gefunden, wie sie
jetzt in Ihrem Zimmer liegt? Also mit verrutschtem Rock und ohne Slip?«
    Er nickte.
    »Können Sie sich denken, warum sie so daliegt?«
    Seine Gesichtsfarbe wechselte, die Backen wurden kurzzeitig
feuerrot. »Warum wohl?«, blaffte er mich an. »Weil sich irgendein Arschloch
über sie hergemacht hat, darum natürlich. Was soll diese bescheuerte Frage?«
    »Aber Ihr Zimmer war abgesperrt, sagten Sie.«
    »Annette hatte einen Schlüssel. Den wird der Mörder benutzt
haben.«
    »Wie bitte? Sie besaß den Schlüssel zu Ihrem Dienstzimmer?«
    »Ja, verdammt.« Nun lief die Röte über sein ganzes Gesicht.
»Noch aus der Zeit, als wir zusammen waren. Ich habe vergessen, ihn
zurückzuverlangen.«
    Ich überlegte. Wenn es stimmte, was er sagte, konnte der
Mörder Annette Nierzwa in Nagels Dienstzimmer überrascht und es später mit
ihrem Schlüssel abgeschlossen haben. Oder der Mord war außerhalb geschehen und
der Schlüssel der Toten entwendet worden, damit sie in Nagels Zimmer versteckt
werden konnte.
    »Wie war das nun mit Ihrem Figaro -Besuch?«, fuhr ich
fort. »Weil Sie zu spät kamen, setzten Sie sich nicht neben Marc, sondern in
die Nähe der Tür, und irgendwann gingen Sie raus. Wann war das?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte er finster.
    »Sie wissen es nicht?«
    »Nein!«
    »Sie werden sich doch erinnern, ob es vor der Pause oder
danach war! In welchem Akt, bei welcher Szene. Was Sie von der Oper noch
gesehen und was Sie verpasst haben.«
    »Es war vor der Pause«, sagte er leise. »Aber wann genau –
keine Ahnung. Wirklich nicht. Ich habe von der Oper nichts mitbekommen, nicht
einen Ton. Ich hätte genauso gut vor einer schwarzen Wand sitzen können.«
    Ärgerlich schüttelte ich den Kopf. Ich war es, der vor einer
schwarzen Wand hockte, vor einer Wand namens Bernd Nagel.
    »Wissen Sie«, druckste er herum, »ich habe momentan ein paar
Probleme. Privater Art.«
    »Beziehungsstress?«
    Er nickte.
    »Mit Annette?«
    »Unter anderem.« Er zögerte. »Es gibt da … verschiedene
Dinge. Manchmal hat man solche Phasen. Die Beziehung zu Annette spielt auch
eine Rolle. Wir haben uns zwar vor längerer Zeit getrennt, aber Sie wissen ja,
wie das ist.«
    Sollte ich ihm auf die Schulter klopfen und ein
Krokodilstränchen vergießen? Unter Männern, die von der Liebe gebeutelt sind?
Vielleicht ein anderes Mal.
    »Sind Sie deshalb raus?«
    »Aus der Premiere? Ja. Ich hielt es nicht mehr aus, wollte
den Kopf frei bekommen, etwas frische Luft schnappen … Einfach nur weg von den
Leuten.«
    »Und wohin sind Sie gegangen? In eine Kneipe?«
    »Wenn ich das wüsste«, stöhnte er. »Glauben Sie mir, ich habe
nicht auf den Weg geachtet. Aber ich bin nirgendwo eingekehrt, habe mit niemandem
gesprochen.«
    »Sie wollen mir erzählen, dass Sie keinen blassen Schimmer
haben, wo Sie …«
    »Moment, warten Sie!«, unterbrach er mich. »Ich lief zuerst
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