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Schluß mit cool (German Edition)

Schluß mit cool (German Edition)

Titel: Schluß mit cool (German Edition)
Autoren: T.C Boyle
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Lenkrad, und ich hatte vor, Los Angeles auf jeden Fall zu meiden. In meinen Augen war die Stadt schon immer ein Dreckloch gewesen, auch bevor die Seuche zuschlug, und jetzt war es eben ein Dreckloch, in dem sich sieben Millionen verwesende Kadaver türmten. Sarai meckerte und jammerte und heulte und drohte, aber sie stand auch ein bißchen unter Schock und konnte ihre übliche Bestform nicht ganz erreichen, also fuhren wir nach Westen und dann auf der Route 126 nach Norden in Richtung Montecito, wo ich während der letzten zehn Jahre in einem Häuschen auf einem der großen Güter dort gelebt hatte – auf »Mírame«, dem Sitz der Familie DuPompier.
    Übrigens, wenn ich zuvor erwähnt habe, daß die Autobahnen frei waren, so meinte ich das rein metaphorisch – sie waren frei von fließendem Verkehr, dafür aber übersät mit verlassenen Fahrzeugen aller Art, jede Menge Auswahl, von der blitzenden Harley-Chopper mit Blattgoldlackierung zu tausend Dollar bis zu braven Familienkutschen, es gab Corvettes und Winnebagos, neunachsige Lastwagen und sogar Löschfahrzeuge und Polizeiautos. Zweimal, als Sarai mir besonders auf den Wecker ging, blieb ich neben einem dieser leeren Wagen stehen, machte ihr schwungvoll die Tür auf und sagte: »Los doch. Nimm dir diesen Cadillac« – oder BMW oder was es eben war – »und fahr einfach selbst dahin, wo du unbedingt sein willst. Nur zu. Worauf wartest du noch?« Aber jedesmal zog sich ihr Gesicht zusammen, bis es klein wie das einer Puppe war, und ihre Augen wurden richtig glasig vor Angst: diese Autos waren Katakomben, jedes einzelne, und dieser grausige Gedanke war schlicht nicht auszuhalten.
    Also fuhren wir weiter, in einer überirdischen Stille, in einer Welt, die jetzt schon urtümlich wirkte, den Coast Highway hinauf, entlang des klaren, gekräuselten Meeres ohne ein einziges Boot darauf und nach Montecito hinein. Es war Abend, als wir eintrafen, und nirgends war ein Mensch in Sicht. Wenn das nicht gewesen wäre – und eine gewisse schleichende Vernachlässigung der Rasenflächen, Sträucher und Bäume –, hätte man gar keinen Verdacht geschöpft. Mein Häuschen, erbaut in den Zwanzigern aus lokalem Sandstein und derart von Glyzinen umrankt, daß es kaum noch zu erkennen war, stand noch so da, wie ich es verlassen hatte. Wir bogen auf die stille Einfahrt ein, das große Herrenhaus ragte in der Ferne auf, eine Fläche aus dunklem Spiegelglas, in der sich das Blut der sinkenden Sonne sammelte, aber Sarai sah kaum auf. Sie zog die schmalen Schultern zusammen und starrte auf einen abgetretenen Fleck in der Abstreifmatte zu ihren Füßen.
    »Wir sind da«, verkündete ich und stieg aus dem Wagen aus.
    Sie sah mich an, tief getroffen, leidend, ein Waisenkind. »Wo?«
    »Zu Hause.«
    Es dauerte einen Moment, aber als sie antwortete, sprach sie langsam und bedächtig, als lernte sie soeben die Sprache neu. »Ich habe kein Zuhause«, sagte sie. »Nicht mehr.«
    Also. Was soll ich sagen? Wir haben es nicht lange miteinander ausgehalten, Sarai und ich, obwohl wir Pioniere waren, die letzte Hoffnung unserer Spezies, die der zähe Leim von Angst und Einsamkeit zusammenhielt. Mir war klar, daß die nahe Zukunft mir nicht allzuviel Gelegenheit für Verabredungen bescheren würde, trotzdem waren wir einfach nicht passend füreinander. Mehr noch, wir waren so unpassend füreinander, wie es zwei Menschen nur sein können, und unser Sex war langweilig und pflichtbewußt, ein Ballett der wechselseitigen Not und Verachtung, aber zumindest für mich gab es eine positive Seite daran: es war eine Chance, fruchtbar zu sein und sich zu vermehren, unser Möglichstes zu tun, um den weiten, schmerzlich leeren Planeten neu zu bevölkern. Aber bereits nach einem Monat trieb mir Sarai diesen Gedanken endgültig aus.
    Es war ein seidiger, nebelverhangener Morgen, der Tag vertiefte sich ringsherum. Wir hatten gerade einen mechanischen Geschlechtsverkehr abgeleistet und lagen erschöpft und unbefriedigt im Gewühl meiner dreckigen Bettwäsche (Wasser war ein Problem, und wir wuschen unsere Wäsche mit dem, was wir aus dem Swimmingpool vom Herrenhaus herüberschleppen konnten). Sarai atmete durch den Mund, ein abstoßendes Schnaufen und Rasseln, das mich unglaublich nervte, aber ehe ich etwas sagen konnte, spuckte sie ein hartes eingeschrumpeltes kleines Satznugget aus: »Du bist kein Howard«, sagte sie.
    »Howard ist tot«, sagte ich. »Er hat dich im Stich gelassen.«
    Sie starrte zur Decke empor.
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