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Schluß mit cool (German Edition)

Schluß mit cool (German Edition)

Titel: Schluß mit cool (German Edition)
Autoren: T.C Boyle
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aus überwucherten Gärten, pflanzten selbst Erdbeeren und Zuckererbsen mitten auf dem mittlerweile hüfthohen Rasen der Villa Ruscello. Irgendwann fuhren wir in die Berge und holten meinen Generator aus der Hütte, damit wir in meinem Häuschen Licht und einen funktionierenden Kühlschrank hatten – Eiswürfel, der wahre Luxus! – und langsam darangehen konnten, uns die rund achttausend Filme des Videoverleihs an der Ecke hineinzuziehen. Es dauerte fast einen Monat, bevor etwas zwischen uns lief, sexmäßig meine ich. Und als es passierte, fühlte sie sich zuvor verpflichtet, vermutlich aus dem Schuldgefühl der Überlebenden heraus, mir zu erklären, wie es kam, daß sie am Leben war und atmete, während jeder Mensch, den sie je gekannt hatte, vom Antlitz der Erde verschwunden war. Wir saßen im rustikalen Wohnzimmer meines Häuschens und teilten uns eine Flasche Dom Perignon von 1970, auf der noch das 310-Dollar-Preisschild klebte, und ich hatte gegen die hereinbrechende Nacht und den feuchten, satten Duft nach Regen in der Luft ein Feuer angezündet. »Du wirst mich für eine Idiotin halten«, sagte sie.
    Ich ließ ein Geräusch des Einspruchs ertönen und legte den Arm um sie.
    »Hast du je von sensorischer Deprivation gehört?« Sie sah, vom Alkohol belebt, durch ihren Haarvorhang zu mir auf, goldblond und mit roten Strähnen.
    »Sicher«, sagte ich. »Aber du warst doch damals nicht etwa gerade...?«
    »Es war ein älterer Tank, ein Modell, das gar nicht mehr auf dem Markt war – einer der Original Samadhi-Tanks. Die Schwester meiner Mitbewohnerin – Julie Angier hieß die – hatte einen, draußen in ihrer Garage auf der Padaro Lane, und die stand total drauf. Da könne man mit seinem inneren Ich in Kontakt treten, sich mal richtig entspannen, vielleicht sogar auch außerkörperliche Erfahrungen machen, so hat sie das erzählt, und ich dachte mir, warum nicht?« Der Blick, den sie mir zuwarf, war scheu und leidenschaftlich zugleich und sollte mir mitteilen, daß sie die Sorte Frau war, die ihre Erfahrungen ernst nahm. »Sie füllen den Tank mit Salzwasser, gut tausend Liter sind das, heizen ihn auf Körpertemperatur auf, dann klappen sie den Deckel über dir zu, und da ist nichts mehr, das absolute Nichts – es ist wie ein Flug ins Weltall. Oder ins innere Universum. Tief in das eigene Innere.«
    »Und du warst gerade da drin, als...«
    Sie nickte. In ihrem Blick lag ein Ausdruck, den ich nicht recht deuten konnte – Stolz, Triumph, Verlegenheit, ein Funke schieren Wahnsinns? Ich grinste sie ermutigend an.
    »Tagelang, so kam’s mir vor«, sagte sie. »Ich hatte irgendwie den Faden verloren, wußte nicht mehr, wer ich war, wo ich war – verstehst du? Und ich bin dann erst wieder richtig wach geworden, als das Wasser allmählich kalt wurde« – hier sah sie auf ihre Füße –, »das war wohl, als der Strom ausfiel, weil niemand mehr da war, um die Kraftwerke zu betreiben. Irgendwann stieß ich den Deckel auf, das Sonnenlicht knallte durchs Fenster wie eine Atombombe, und dann rief ich Julies Namen, und sie... na ja, sie antwortete einfach nicht.«
    Die Stimme erstarb ihr in der Kehle, und sie warf mir diesen kummervollen Blick zu. Ich legte auch den anderen Arm um sie und drückte sie an mich. »Schon gut«, flüsterte ich, »es ist ja wieder gut, alles ist gut.« Das war ein ziemlich banaler Spruch und außerdem gelogen, aber ich sagte es trotzdem und hielt sie fest und spürte, wie sie sich in meinen Armen entspannte.
    Genau in diesem Moment, fast wie aufs Stichwort, tauchte Sarais bleiches schmales Gesicht am Fenster auf, eingerahmt von ihren erhobenen Händen und einem Stein von der Größe meines kompletten Webster-Wörterbuchs. »Und was ist mit mir , du Dreckskerl!« brüllte sie, und da war er wieder, der unverwüstliche Stein für die gläserne Fensterscheibe, und auf der ganzen Welt lebte kein Glaser mehr.
    Ich wollte sie umbringen. Es war unglaublich – soweit ich wußte, hatten nur drei Menschen das Ende von allem überlebt, aber einer davon war zuviel. Ich verspürte Rachedurst. Biblischen Rachedurst. Ich hatte gute Lust, Sarais protzige Burg zu stürmen und ihr die Hühnerkehle zuzudrücken, und ich hätte es wohl auch getan, wenn Felicia nicht gewesen wäre. »Laß nicht zu, daß sie es uns verdirbt«, murmelte sie. Auf einmal fand der sanfte Druck ihrer Finger in meinem Nacken meine volle Aufmerksamkeit, und wir gingen einfach ins Schlafzimmer hinüber, schlossen hinter dem Chaos aus
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