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Schlüsselherz (German Edition)

Schlüsselherz (German Edition)

Titel: Schlüsselherz (German Edition)
Autoren: Liv Abigail
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kurzer, spitzer und eindeutig zutiefst empörter Frauenschrei.
     
    *
     
    Liebste Melissa,
    heute schreibe ich Dir einen Brief, wie ich noch keinen für Dich verfasst habe. Ich schreibe Dir aus dem London Bridge Hospital, wo ich gezwungen war, die zweite Hälfte einer scheußlichen Nacht zu verbringen. Leider habe ich keines der Zimmer mit Blick auf die Themse erhalten, die man Dir bei deinen Aufenthalten regelmäßig zuteilt, damit du die beleuchteten Schiffe betrachten kannst. Bedaure mich, Melissa, die Langeweile quält mich auf unerträgliche Weise, aber die Ärzte wünschen, mich eine weitere Nacht zur Beobachtung hierzubehalten. Ich frage mich, ob dies auch die Vorgehensweise bei Patienten mit einer Gehirnerschütterung sowie einem Nasenbruch darstellt, wenn diese mittellos sind … Lassen wir das.
    Es wird Dich erheitern zu erfahren, dass ich niedergeschlagen wurde, was im Allgemeinen keinen Grund zur Belustigung darstellt, wäre die Täterin nicht eine Frau gewesen, die ich ursprünglich zu retten geplant hatte. Ganz offensichtlich bedurfte sie meiner Hilfe nicht. Ein türkischer Geschäftsmann fand mich nach dem schändl i chen Angriff und setzte mich in ein Taxi, welches mich (nachdem ein Unfall zwischen Mageninhalt und Sitzbankpolsterungen gerade noch verhindert werden konnte) zum Krankenhaus brachte. Der Geschäftsmann berichtete von einem weiteren Opfer dieser so wehrhaften Lady. Bei diesem Mann, den es weniger hart erwischte als mich, musste es sich um den Verfolger der Dame handeln. Es ist zu bedauerlich, dass er sich davonschleppen konnte, denn nun wird seine Identität wohl ein Geheimnis bleiben. Ich werde, sobald mein Kopf mich nicht mehr mit Katzenmusik quält, ein paar Abende im Ten Bells und der Umgebung dieser Spelunke verbringen. O nein, sorg Dich nicht um mich, Melissa. Du kennst mich gut genug, um zu wissen, dass meine Neugier mich doch nicht in Frieden ließe. Ich werde vorsichtig sein, wenn ich mich nach dem Fremden mit dem Christenkreuz erkundige und nach der Dame mit den Stiefeln, für die sie einen Waffenschein bräuchte.
    Immerhin gibt es einen triftigen Grund. Stell Dir vor, Melissa: Sie hat meine Tasche mitgenommen! Es waren drei Bücher darin und Du wirst schon ahnen, dass es sich nicht um jene Romane ha n delt, die Vater als solche bezeichnet. Dass sie sie gestohlen hat, lässt mich zutiefst irritiert zurück, schließlich verfügen solche Werke über ke i nerlei materiellen Wert, und meine durch die Tageseinnahmen prall gefüllte Brieftasche rührte sie nicht an. Nein, die Frage, warum eine Frau mich niederschlägt, um Taschenbücher zu stehlen, die sie für ein , zwei oder drei Pfund pro Exemplar an jedem Bahnhof beko m men kann, muss und werde ich beantwortet wissen!
    Mit einem Eisbeutel im Schritt, der freudigen Aussicht auf ein paar kurzweilige Abende sowie dem stillen Wunsch, Du mögest irgen d wann von meinen Abenteuern lesen können, und außerdem vol l kommen ohne Blick auf die Themse verbleibe ich.
     
    In Liebe,
    Dein Bruder Valender
    16. April 2012

Kapitel II
     
    Das Glöckchen schreckte Valender aus seinen Gedanken auf. Von seinem Ohrensessel hinter dem massiven, von ins Holz geschnitzten Intarsien gezierten Verkaufstresen, warf er einen knappen Blick zum Eingangsbereich der Buchhandlung, die seinem Vater gehörte, und vor ihm dessen Vater und davor und so weiter, und so weiter. Eine von einer blonden Hochsteckfrisur gekrönte Dame, nur wenig älter als Valender, trat zwischen die prall gefüllten Ebenholzregale und sah sich fragend um. Sie war elegant, aber farblich schauerlich Ton in Ton von Fuchsia bis Pink gekleidet. Nicht der Mode entsprechend, sondern eher, als spekuliere sie auf die Mode im nächsten Jahr, um dann mit ihren spitzen Lippen zu bemerken, dass sie es ja schon la n ge zuvor gewusst hätte. Gott sei Dank trug sie zumindest keinen dieser topaktuellen sprechenden Hüte, die sich für schrecklich wic h tig hielten und den ganzen Tag nur Unsinn sabbelten. Ehe sie ihn entdeckte, senkte er rasch den Blick zurück auf das Buch, das in se i nem Schoß ruhte. Wer selbst ein Bücherfreund war, verstand es schon, dass man eine Szene nicht im spannendsten Moment unte r brechen konnte, nicht einmal dann, wenn die Queen persönlich im Laden stünde. Zu behaupten, Das Schloss der Macbeths sei besonders spannend, wäre zwar gelogen … doch der Schinken bestand wie die besten Pageturner aus Leinen, Papier und gedruckten Buchstaben. Mit etwas Vorstellungskraft
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