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Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)

Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)

Titel: Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)
Autoren: Marcus Imbsweiler
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drin?«
    »Nur das hier.« Er reichte mir einen alten, abgegriffenen Ausweis einer
Heidelberger Schützengilde mit einem fast gänzlich verblassten Foto. ›Böker, Wilfried‹
stand darunter. Das Foto zeigte einen jungen Mann oder wenigstens seine Umrisse,
die in nichts an den Greis im Erdgeschoss erinnerten. Vor 60 Jahren war er in die
Gilde eingetreten. Kurz nachdem Freds Oma den Schlossblick-Imbiss eröffnet hatte,
schoss es mir durch den Kopf.
    »Und jetzt?«, raunte Fatty.
    »Schnell hoch. Aber vorsichtig!«
    Oben angekommen, erwartete uns ein leerer Flur. Wir eilten ins Wohnzimmer.
Auch hier keine Spur von Böker. Der Regen, der hinter dem Fenster niederging, ließ
das Braun und Grün des Gartens zu einer einzigen Farbe verschwimmen. Ich zeigte
Fatty den Artikel über Bökers verstorbene Frau.
    »Wahnsinn!«, stöhnte er. »Der Typ hat tatsächlich alles, was nach neuer
Rechtschreibung riecht, verbessert. Sogar Kommas und Trennungen.«
    »Und dann hebt er den Bericht 13 Jahre auf. Das finde ich noch viel
verrückter.«
    »13 Jahre!« Fatty schüttelte den Kopf. »Mir war überhaupt nicht klar,
wie alt die Reform schon ist. Das hier muss einer der ersten Artikel …« Er brach
ab, denn über uns erklangen Schritte.
    Sofort rannte ich zurück in den Flur, Fatty folgte. Zwei Stufen auf
einmal nehmend, erklomm ich die Treppe, die in den ersten Stock führte. Ich war
noch nicht oben, als ich hörte, wie sich ein Schlüssel im Schloss drehte.
    Mist!
    Ein schmaler Flur mit drei Türen. Eine stand
halb offen und gab den Blick auf ein benutztes Bett frei. Vorsichtig probierte ich
die nächste. Sie öffnete sich geräuschlos. Ich sah Regale voller Bücher, einen dunklen
Schreibtisch, einen Aktenschrank – und alles dick unter Staub begraben. Eine Art
Arbeitszimmer, in dem schon lange niemand mehr gearbeitet hatte. Auf dem Tisch stand
eine alte Schreibmaschine, daneben ein hellgraues Ungetüm, das ich mit einiger Mühe
als einen Computer der ersten Generation erkannte. ›Nixdorf‹ war auf dem Gehäuse
zu lesen.
    Fatty tippte mir auf die Schulter und zeigte zur
dritten Tür. Stumm formten seine Lippen ein einziges Wort: »Bad?«
    Ich nickte. Zwei Schritte nach vorn, die Klinke
in Zeitlupe hinuntergedrückt – verschlossen. Von drinnen kein Geräusch. Ich räusperte
mich.
    »Herr Böker?« Keine Antwort. Also noch einmal: »Hallo, Herr Böker?
Es ist alles in Ordnung mit Ihren Waffen. Herr Sawatzki hat nichts Beanstandenswertes
gefunden. Sollen wir jetzt nach Ihrem Zaun sehen?«
    Stille. Fatty ging auf Zehenspitzen in das Schlafzimmer des alten Herrn
und sah sich um. Kopfschüttelnd kehrte er zurück.
    »Sollen wir unten warten, Herr Böker?«, fragte ich. »Im Wohnzimmer?«
    »Ich … nicht«, kam es mit brüchiger Stimme aus dem Bad.
    »Bitte? Was sagten Sie?«
    »Ich wollte das nicht!«
    Fatty und ich sahen uns an.
    »Was wollten Sie nicht?«, erwiderte ich schließlich.
    »Der junge Mann stand plötzlich in meiner Schusslinie. Und es regnete
doch! Es regnete schon den ganzen Abend.«
    »Ja, das wissen wir. Hören Sie … wollen wir uns nicht erst Ihren Zaun
ansehen, und danach erzählen Sie uns alles?« Wir mussten unbedingt an den Alten
herankommen. Am Ende tat er sich noch etwas an.
    »Ich habe extra einen Regentag gewählt, weil dann kaum Publikum am
Imbiss ist. Am Abend noch weniger.«
    »Ich verstehe Sie sehr schlecht, Herr Böker. Sperren Sie bitte die
Tür auf.«
    »Nein!«, schrie der Alte, dass seine Stimme kippte. »Ich bleibe hier
drin! Und wenn Sie die Tür aufbrechen, schieße ich Sie über den Haufen!«
    »Scheiße!«, entfuhr es Fatty. Ich biss mir auf die Lippen. Er hatte
sich mitsamt seiner Waffe eingeschlossen! Wahrscheinlich lag sie seit Tagen unter
seinem Bett oder gleich in der Badewanne. Und wir hatten uns übertölpeln lassen
wie die Schuljungen.
    Wie Schuljungen, ja. Vom alten Schulmeister!
    Ich zog mein Handy und wählte Kommissar Fischers Nummer, bevor ich
es Fatty in die Hand drückte.
    »Er soll kommen«, flüsterte ich. »So schnell wie möglich!«
    Fatty nickte und eilte die Treppe hinab.
    »Keine Sorge, Herr Böker«, sagte ich, um Gelassenheit bemüht. »Wir
halten uns von der Tür fern. Nur bitte machen Sie nichts Unüberlegtes.«
    »Wenn Sie reinkommen, schieße ich. Und ich treffe! Ich treffe immer.
Nur das eine Mal nicht, letzte Woche.«
    »Weil Ihnen da der Mann vor das Gewehr lief«, sagte ich, weil er eine
Pause machte.
    »Nein!«, kam es schrill aus dem Bad. »Das wäre ein
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