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Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)

Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)

Titel: Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)
Autoren: Marcus Imbsweiler
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Treffer geworden.
Ich kann doch nichts dafür, dass der plötzlich auftaucht! Ich meine den Schuss davor.
Gerade als ich abdrücke, bekomme ich einen Zweig ins Gesicht. Deshalb ging der Schuss
daneben.«
    »Sie wollten die Leuchtschrift treffen.«
    »Natürlich! Wenn ich nicht schlafen kann und mich ans Fenster stelle,
strahlt sie mir ins Gesicht. Jeden Tag, jede Nacht! Sie spucken mich geradezu an,
diese hässlich gelben Buchstaben!«
    Ich linste in Bökers Schlafzimmer. Durch das Fenster fiel mein Blick
auf den Parkplatz. Und auf Freds Imbisswagen, über dem groß und unübersehbar der
geschwungene Namenszug thronte. Fatty kam die Treppe nach oben und gab mir mit einem
Nicken das Handy zurück.
    »Aber das war nicht immer so«, sagte ich. »Als der Schlossblick noch
mit ß geschrieben wurde, hat Sie die Schrift nicht gestört, richtig?«
    »Dieser Mensch hatte überhaupt keinen Anlass, die Schreibweise zu ändern«,
rief Böker. Jetzt überschlug sich seine Stimme wieder. »Bei einem Namen, stellen
Sie sich vor! Aber es gibt ja auch Leute, die Litfaßsäule mit drei s schreiben.
Der Kerl wollte mich provozieren mit seiner Leuchtschrift! Und dann das Volk, das
abends bei ihm herumlungert. Sind das die neuen Zeiten, frage ich Sie?«
    »Das weiß ich nicht. Aber ich denke, es ist zweitrangig, ob ich ein
Wort mit ß oder Doppel-s schreibe.«
    Das hätte ich besser nicht gesagt. »Zweitrangig?«, schrie Böker, und
seine Empörung wurde von einem hässlichen Geräusch untermalt, wie es entsteht, wenn
zwei harte Gegenstände aufeinanderstoßen. Ein Gewehr und der Rand einer Badewanne
zum Beispiel. »Zweitrangig? Sie halten unsere Schrift für zweitrangig? Das, was
uns vom Tier unterscheidet?«
    »Nicht unsere Schrift, aber die Schreibweise.«
    »Das gehört zusammen. Ohne Schreibweise keine Schrift, ohne Regel keine
Verständigung. Und die Regeln müssen Sie schon uns Lehrern überlassen.«
    »Das tue ich ja«, entgegnete ich. War der Alte nun verrückt oder nicht?
Was er da von sich gab, klang weniger wirr als erschreckend absurd. Wahnhaft, im
schrillen Tonfall der Dauerverfolgten formuliert. Und dass ich mit ihm auch noch
diskutierte, hatte nur einen Grund: Solange er redete, griff er nicht zur Waffe.
»Das tue ich ja, Herr Böker. Aber haben nicht auch Lehrer die neue Rechtschreibung
mitentwickelt?«
    »Sie wird zurückgenommen, das verspreche ich Ihnen. Der Widerstand
wächst, an allen Fronten. Bald habe ich die Stadtverwaltung so weit, dass sie mir
Briefe in korrektem Deutsch zukommen lässt. Einladungen, Bescheide, Mahnungen –
ich habe alles zurückgeschickt. Alles! Und mich beim Oberbürgermeister beschwert.
Bald ist die Reform Vergangenheit. Eine krude Fußnote der Sprachgeschichte.«
    Fatty machte die Scheibenwischergeste. Hoffentlich kam die Polizei
nicht mit Blaulicht und Martinshorn vorgefahren. Ich überlegte, wie sich das Gespräch
mit dem Alten in die Länge ziehen ließ.
    »Und der Zeitungsartikel über Ihre Frau?«, sagte ich nach kurzem Zögern.
»Was ist mit ihm?«
    Böker lachte bitter. »Damit fing alles an. Die erste Ausgabe der Neckar-Nachrichten
in neuer Rechtschreibung. Ein Testlauf, lange vor der offiziellen Einführung. Und
ausgerechnet da erschien der Nachruf auf meine Frau. Ich habe mein Abonnement natürlich
sofort gekündigt. Wie so viele.«
    »Kannten Sie Thorsten Schallmo?«
    »Jetzt ist meine Frau tot, und ich weiß nicht mehr …« Böker verstummte.
Es folgte ein schlurfendes Geräusch, dann ein leiser Plumps. »Was haben Sie gerade
gefragt?«
    »Ob Sie Thorsten Schallmo kannten.«
    »Nein. Aber sind Sie nicht auch der Meinung, dass es bergab geht mit
unserem Land? Nachts grölen die Besoffenen vor meinem Haus, pinkeln in meinen Garten,
und dann die vielen Ausländer. Die unsere Sprache kaputtmachen.« Er stöhnte auf.
»Ich weiß nicht mehr, was ich noch tun soll. Wo ich hingehöre. Seit meine Frau tot
ist …«
    »Herr Böker, wir finden jemanden, der sich um Sie kümmert. Ich verspreche
es Ihnen.«
    »Zuletzt bin ich im Garten gestolpert und habe mich an den Brombeerranken
verletzt. Der Handrücken ganz blutig. Und dann konnte ich kein Pflaster finden.
Ich wollte meine Frau fragen, aber die war nicht da, verstehen Sie?«
    Unwillkürlich sah ich auf die Schramme an meiner Hand. »Ja, ich verstehe
das.«
    »Diese Welt ist nicht mehr meine.« Ein ziehendes Geräusch, wie das
Spannen eines Hahns. »Aber Sie schauen nach dem Zaun, ja?«
    Ich wollte antworten, doch in diesem Moment fiel
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