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Schließe deine Augen

Schließe deine Augen

Titel: Schließe deine Augen
Autoren: John Verdon
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jenseits des Rasens hingen ziemlich windschief da. Bei diesem Anblick wurde ihm klar, dass er zumindest bis zu einem gewissen Grad Madeleines Wohlwollen für die Rehe teilte, auch wenn sie kleinere Schäden anrichteten. Das war merkwürdig, denn er hegte ganz andere Gefühle, was die Verwüstungen vonseiten der Eichhörnchen anging, die auch jetzt wieder die Samen fraßen, die die Rehe nicht aus den Trögen hatten holen können. Schnell, fahrig, aggressiv in ihren Bewegungen schienen sie von einem obsessiven Hunger beherrscht, einem habgierigen Verlangen, jeden noch so kleinen Brösel an Essbarem zu verzehren.
    Gurneys Lächeln erstarb. Er beobachtete die Tiere mit einer unterschwelligen Nervosität, die für ihn wohl mittlerweile zu einer reflexhaften Reaktion auf viel zu viele Phänomene geworden war – einer Nervosität, die aus den Verwerfungslinien seiner Ehe entstand und diese zugleich aufzeigte. Madeleine hätte die Eichhörnchen bestimmt als faszinierend, klug, einfallsreich und respektgebietend in ihrer Kraft und Entschlossenheit beschrieben. Sie schien sie zu lieben, wie sie die meisten Dinge im Leben liebte. Er hingegen hätte am liebsten auf die kleinen Räuber geschossen.
    Nun ja, er wollte sie nicht unbedingt töten oder verletzen, aber vielleicht mit einer Luftpistole so hart treffen, dass sie von den Futterspendern fielen und zurück in die Wälder flohen, wo sie hingehörten. Töten war für ihn nie eine befriedigende Methode gewesen. In seiner ganzen Zeit beim New York Police Department, in den fünfundzwanzig Jahren seines Umgangs mit Gewalttätern und einer rauen Stadt, hatte er kein einziges Mal seine Pistole gezogen, hatte sie außerhalb des Schießstands kaum jemals berührt. Und er hatte keine Lust, jetzt damit anzufangen. Was immer ihn auch an der Polizeiarbeit angezogen und sein Interesse daran so lange wachgehalten hatte, es war nicht der Reiz einer Schusswaffe oder der trügerisch einfachen Lösungen, die sie versprach.
    Auf einmal merkte er, dass Madeleines neugieriger Blick jetzt auf ihn gerichtet war – wahrscheinlich hatte ihr sein angespannter Kiefer verraten, wie er über die Eichhörnchen dachte. Weil er sich durchschaut fühlte, wollte er sich für seine Feindseligkeit gegen diese Ratten mit den buschigen Schwänzen rechtfertigen, aber das Klingeln des Telefons kam ihm zuvor. Es waren sogar zwei Telefone, die sich gleichzeitig meldeten, der Festnetzanschluss im Arbeitszimmer und sein Handy auf der Küchenanrichte. Madeleine strebte ins Arbeitszimmer. Gurney griff nach dem Mobiltelefon.

2
Die kopflose Braut
    Jack Hardwick war ein abstoßender, ätzender Zyniker mit wässrigen Augen, der zu viel trank und so gut wie alles im Leben für einen schlechten Witz hielt. Hardwicks gesamtes Handeln war von fragwürdigen Motiven bestimmt, und wenn man ihm diese weggenommen hätte, davon war Gurney überzeugt, dann hätte er überhaupt keine Motive mehr gehabt.
    Allerdings schätzte Gurney ihn auch als einen der scharfsinnigsten und wachsten Kriminalbeamten, mit denen er je zusammengearbeitet hatte. Dementsprechend gemischt waren seine Gefühle, als er das Handy ans Ohr drückte und die unverwechselbare Schleifpapierstimme hörte.
    »Davey, alter Knabe!«
    Gurney fuhr zusammen. Er war alles andere als ein alter Knabe und würde es auch nie sein. Mit Sicherheit war das auch der Grund, warum Hardwick sich für diese Bezeichnung entschieden hatte.
    »Was kann ich für dich tun, Jack?«
    Das wiehernde Lachen des Mannes war so nervtötend und überflüssig wie immer. »Bei den Ermittlungen im Fall Mellery hast du doch damit geprahlt, dass du mit den Hühnern aufstehst. Wollte mal anrufen und sehen, ob das auch stimmt.«
    Ein gewisses Maß an Geplänkel musste man stets über sich ergehen lassen, bevor sich Hardwick dazu herabließ, zur Sache zu kommen.
    »Was willst du, Jack?«
    »Hast du auf deiner Farm wirklich Hühner, die gackernd und kackend rumlaufen, oder ist das ›mit den Hühnern‹ nur so eine volkstümliche Redensart?«
    »Was willst du, Jack?«
    »Warum sollte ich denn was wollen, verdammt? Kann denn ein alter Kumpel nicht einfach mal einen anderen alten Kumpel anrufen, um ein bisschen über alte Zeiten zu plaudern?«
    »Den alten Kumpel kannst du dir sonst wohin stecken. Sag mir einfach, warum du anrufst.«
    Erneut das kreischende Gelächter. »Was bist du nur für ein kalter Brocken, Gurney.«
    »Hör zu: Ich hab meine zweite Tasse Kaffee noch nicht getrunken. Wenn du in den
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