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Schlehenherz

Schlehenherz

Titel: Schlehenherz
Autoren: Heike Eva Schmidt
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Vio war hart im Nehmen. Als unser Reitlehrer ihr eine Mullkompresse anlegte, um sie notdürftig zu versorgen, ehe er sie zum Arzt fuhr, vergoss sie keine einzige Träne. Dafür heulte ich wie ein Schlosshund, vor Schreck und schlechtem Gewissen.
    »Mann«, sagte Vio und musterte mich streng, während Desinfektionsmittel und Blut an ihrer Schläfe herunterliefen und sich auf ihrer Wange zu einem hellroten Rinnsal vermischten, »beim Halfterstrick-Schleudern gehörst du eindeutig nicht zu den Fortgeschrittenen!«
    Obwohl mir die Tränen noch aus den Augen liefen, musste ich lachen und Vio lachte mit. Seitdem waren wir unzertrennlich. Sogar unsere Namen passten zueinander. »Lila und Violett gehören doch auch zur selben Familie der Farben«, lautete Vios Begründung. Und was Vio sagte, galt.

    »Sag mal, hatte Grover heute Morgen seine Kontaktlinsen vergessen oder warum hat er dich so angestarrt?«
    Vio hatte nicht nur eine spitze Zunge, sondern zu meinem Leidwesen auch scharfe Augen. Ich zog es vor, mit möglichst unschuldigem Blick die Schultern zu heben: »Weiß ich doch nicht!«
    Genauso erfolglos hätte ich versuchen können, einer Horde Pinguine zehn Flaschen Sonnenmilch anzudrehen. Wenn’s drauf ankam, konnte ich einfach nicht lügen.
    Vio brachte ihr Gesicht zwanzig Zentimeter vor meines und starrte mir in die Augen: »Lila …?! Läuft da etwa was zwischen dem Blauhelm und dir?«
    Ich entschloss mich notgedrungen für die Wahrheit:»Nein, da läuft nichts. Grover hat mir nur neulich mal ’ne CD gebrannt.«
    Vio blieb stehen und starrte mich an: »Der glaubt aber nicht im Ernst, du stehst auf Punkrock, oder?«
    Ich zog mein Lauftempo an und sagte möglichst beiläufig »Nee, ist ’ne Schostakowitsch-CD!«
    Vio hielt eisern mit mir Schritt. »Schosta… häh? Russendisco, oder was?«
    Ich blieb genervt stehen. »Mann, Vio! Schostakowitsch war einer der berühmtesten Komponisten Russlands! Klassik … Oper, Ballett, kapiert?«
    Erst als ich Vios breites Grinsen sah, wusste ich: Sie hatte mich voll auflaufen lassen. Ich musste lachen: »Du bist so blöd!«, sagte ich und knuffte sie.
    »Du willst aber nichts von dem Typen, oder?«, versicherte sich Vio und blickte mich von der Seite an.
    »Nee, Quatsch, ich steh nicht auf Jungs, die am Morgen schon blau sind!«, sagte ich mit todernstem Gesicht.
    Daraufhin brachen wir beide in schallendes Gelächter aus.
    Ehrensache, dass ich Vio später abschreiben ließ. Die Gärtner hatte tatsächlich eine Bio-Ex verkündet und ein Aufstöhnen war durch die Klasse gegangen. Als wir – in affenkurzer Zeit – abgeben mussten, blieb mein Blick an Grover hängen. Der blickte scheinbar unbeteiligt aus dem Fenster. Nur die Andeutung eines zufriedenen Grinsens und die Erinnerung an sein Verhalten heute Morgen machten mich stutzig: Wie zum Kuckuck hatte er von der überraschend angesetzten Arbeit Wind bekommen?

    »Wahrscheinlich hat Grover was mit der Gärtner. Deswegen weiß er immer im Voraus, wann eine Ex fällig wird«,witzelte Vio. Aber ich spürte, dass sie mich ein bisschen lauernd musterte.
    Es war Pause, und wir standen in der Schlange vorm Schulkiosk, um unsere tägliche Ration Ungesundes in Form von Schokoriegeln, Hotdogs oder Donuts abzuholen. Die Schlange war lang und der Verkäufer, der immer stumm bediente, nicht der Schnellste. Ich verzog keine Miene und antwortete nur gelangweilt: »Logisch. Die Gärtner ist ja auch erst fünfundfünfzig. Und mit neunzig Kilo ein flotter Brummer. Da hat sich Grover bestimmt unsterblich verknallt.«
    Wir blickten uns an – und gackerten los. Vio war wieder obenauf. Dank meiner Hilfe bei dem Test heute war sie in Bio für die nächste Zeit aus dem Schneider. Als hätte sie meine Gedanken gelesen, legte Vio mir den rechten Arm um den Nacken und drückte mich kurz an sich: »Danke, Schatz! Du hast echt was gut bei mir!«
    Ich musste lächeln. Auf eine schulische Gegenleistung konnte ich bei ihr zwar nicht hoffen, aber bestimmt würde mir Vio mal was Süßes in meine Schulmappe stecken oder mir eine DVD brennen. Illegal natürlich, aber ich schaute mir die Filme ja nur zu Hause an.
    »Wenn ihr hier noch länger herumsteht, ohne was zu kaufen, will ich eure Stellplatzgenehmigung sehen!«
    Schon wieder Grover. Er war hinter uns aufgetaucht und konnte sich einen Spruch offenbar nicht verkneifen. Ich beeilte mich, am Kiosk eine Kornstange zu verlangen. Vio schüttelte den Kopf, als ich sie fragend musterte. »Hab keinen Hunger«,
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