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Schlehenherz

Schlehenherz

Titel: Schlehenherz
Autoren: Heike Eva Schmidt
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Vorrat an Ausredenab, denn wenn ich Vio die Wahrheit sagte, wäre wieder eine Standpauke fällig, das wusste ich. Und als »hoffnungslos-romantischen Fall« würde sie mich auch wieder betiteln. Das war nämlich immer so, wenn ich Till erwähnte. Er war vor einem Jahr an unsere Schule gekommen und ich hatte mich auf den ersten Blick in ihn verknallt. Blöd nur, dass das nicht auf Gegenseitigkeit beruhte. Till stand auf Mädchen mit langen Haaren und kurzen Röcken. Ich brauchte nicht mal in den Spiegel zu gucken, um zu wissen: mein halblanger Bob, meine graublauen Augen – ungeschminkt –, meine schmalen Lippen – ebenfalls ungeschminkt – und keine nennenswerten Kurven … Till konnte ich vergessen. Trotzdem schmachtete ich ihn heimlich an. Als er vor einem Dreivierteljahr im Schulflur, wahrscheinlich aus Versehen, einmal »Hallo« zu mir sagte, war ich selig. Ich trug seinen Blick und den Klang seiner Stimme drei Tage lang wie eine kleine Flamme im Herzen. Und war am Boden zerstört, als ich ihn eine Woche später knutschend in der Ecke des Schulhofs sah – ausgerechnet mit Nessie, dieser aufgebrezelten Kuh. Ihre Haare waren nur dank Chemie so blond, und was sich unter ihrem T-Shirt befand, war ausschließlich mithilfe von Push-up und in den BH eingelegten Gelkissen zur Körbchengröße C aufgepimpt. Die ganze Frau war eine einzige Mogelpackung. Till sah das aber offenbar anders und brach mir damit das Herz.
    Ich heulte mich bei Vio aus. Die versuchte mich zu trösten: »Ein Typ, der auf Kunstblondinen steht, hat sowieso nichts zu bieten. Oder willst du einen, der denkt, du meinst mit ›Hermann Hesse‹ einen Einwohner Frankfurts?« Ich musste wider Willen lachen. Eigentlich hatte Vio recht. Trotzdem schlug mein Herz jedes Mal bis zum Hals, wenn ich ihn nur von Weitem sah. So wie jetzt.
    Vio starrte mich an, als hätte sie Röntgenaugen. Dann schnaubte sie: »Till, hab ich recht?«
    Dass ich rot wie eine Tomate wurde, war für sie Antwort genug. »Du wirst es nie lernen, Süße, oder?«, stöhnte sie.
    Ich zuckte die Achseln: »Ich bin eben ein hoffnungsloser Fall«, zitierte ich sie.
    Vio zog die Stirn in Falten und schüttelte den Kopf wie eine besorgte Großmutter über ihren ungezogenen Dackel.
    »Was ziehst du zu der Fete an?«, fragte ich hastig, um sie abzulenken.
    Vio verzog das Gesicht zu einem schiefen Grinsen: »Ach, ich gehe auf dem Nachhauseweg mal bei Prada vorbei, da finde ich sicher was«, meinte sie und ich gab mir in Gedanken selbst einen Tritt: Ich hatte einen wunden Punkt bei Vio getroffen.
    Ich knuffte sie leicht: »Pass auf: Du holst mich zur Party ab und suchst dir was von meinen Sachen aus – ich leihe dir was für den Abend.«
    Vio biss sich auf die Lippen. Sie zögerte kurz, aber dann strahlte sie. Obwohl chronisch blank, schaffte Vio es mit wenig Geld und viel Fantasie, sogar Fünf-Euro-Schnäppchen zu Unikaten zu machen. Ohne Hemmung zerschnitt sie Shirts und Blusen, um die Teile anschließend wieder wild durcheinander zusammenzunähen. Ein Blümchenshirt erhielt auf diese Weise rotweiß karierte Puffärmel, ein weißes Top wurde mit ein paar schrägen Comicfiguren zum Aufbügeln verziert. Trotzdem sahen Zicken wie Nessie natürlich schon von Weitem, dass die Sachen aus dem Discount stammten – und das ließen sie Vio auch genüsslich spüren. Daher würde Vio für die Party mein schönstes Top bekommen. Nessie sollten die Augen aus dem Kopf fallen.
    Ich hoffte nur, dass die morgen nicht eng umschlungenmit Till neben mir auf der Tanzfläche zugange sein würde. Wenn ich ehrlich war, wünschte ich, Till samt Nessie wäre morgen Abend auf einer Expedition zum Südpol.
    All das ging mir durch den Kopf, als ich mittags von der Schule nach Hause ging – allein. Vio musste noch eine Französischstunde über sich ergehen lassen, ich hatte seit Schuljahresanfang als Wahlfach Spanisch und war früher fertig. Als ich den Stadtpark mit seinen herbstblühenden Rabatten durchquerte, grübelte ich, was ich Vio für die Party leihen könnte. Sie war größer und – das musste der Neid ihr lassen – hatte deutlich mehr Busen und eine schmalere Taille als ich. In Gedanken kleidete ich sie in ein schwarzes Top, das mit einem Peace-Symbol aus Pailletten verziert war.
    Deswegen sah ich die beiden auch erst, als ich fast über sie stolperte: Till und Nessie, eng umschlungen im Gras. Mir blieb die Luft weg. Vor Schreck und weil mich der Anblick von Till unvermittelt traf. Mein Magen verkrampfte
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