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Schlehenherz

Schlehenherz

Titel: Schlehenherz
Autoren: Heike Eva Schmidt
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längst auftauchen müssen. Ich rief sie zu Hause an, doch niemand ging ran. Und auf ihrem Handy teilte mir eine monotone Computerstimme lediglich mit: »The person you have called is temporarily not available.«
    Ich war traurig – und machte mir Sorgen. Um halb acht war ich kurz davor, alleine loszugehen, auch wenn ich plötzlich gar keine Lust mehr hatte. Ohne Vio bei der Schulparty! Das war wie … Erdbeereis ohne Sahne oder wie Kartoffelpüree aus der Fertigpackung.
    In diesem Moment klopfte es an meine Terrassentür. Ich sprang vor Schreck gefühlt einen Meter in die Höhe. In der Dämmerung sah ich eine mit Mütze und Schal vermummte Gestalt draußen stehen. Ich stand wie erstarrt. Dann erkannte ich Vio, die den Finger an die Lippen legte und mir Zeichen machte, die gläserne Tür zu öffnen. Als ich sie aufriss, kam Vio atemlos herein.
    »Mensch, wo bleibst du denn …«, fing ich an, doch sie zischte: »Pssst!«
    Ich kapierte zwar überhaupt nichts, trotzdem dämpfte ich meine Stimme: »Was ist denn los? Wieso klingelst du nicht, sondern schleichst dich über die Terrasse rein?«
    Vio grinste, dann riss sie sich die Mütze vom Kopf undflüsterte wie ein Showmaster, der gerade die Überraschung des Abends präsentiert: »Ta-daaaa!«
    Mir blieb die Spucke weg. Vio hatte sich die langen blonden Haare gefärbt. Dunkelrot und glänzend flossen sie ihr nun über die Schultern. Ich konnte sie nur anstarren, so verändert sah sie aus.
    »Guck nicht so, sonst bleibt’s!«, sagte Vio und kicherte gedämpft.
    »Was, warum … ich meine … bist du deswegen so spät dran?«, stotterte ich.
    Doch Vio antwortete nicht, sondern inspizierte stattdessen meinen Kleiderschrank.
    »Und? Was von deinen kostbaren Schätzen darf ich mir denn ausleihen?«, fragte sie.
    Immer noch sprachlos deutete ich auf das Paillettentop. Vios Gesicht leuchtete auf. In Sekundenschnelle hatte sie ihre Lederjacke und ihr graues Baumwollshirt mit Ernie und Bert drauf ausgezogen und war in das Glitzerteil geschlüpft. Kritisch drehte sie sich vor dem Spiegel.
    »Geht die Farbe aus deinen Haaren wieder raus?«, wagte ich zu fragen.
    Aber Vio zuckte nur die Achseln.
    »Zu freizügig?«, fragte sie und zupfte kritisch an den Trägern des Tops.
    Wortlos griff ich in den Schrank und hielt ihr meine im Sommer neu gekaufte Jeansjacke hin. Vio schlüpfte hinein und hielt den Daumen hoch. In dem Paillettentop und mit ihren neuen dunkelroten Haaren sah sie aus wie ein Wesen aus einem Märchen. Eine Meerjungfrau oder Fee, auf Stippvisite in der Welt der Sterblichen.
    Vio durchbrach den Bann. »Die Sachen kriegst du nachher wieder«, sagte sie.
    Ich lachte. »Willst du auf der Fete strippen oder was?«
    Vio drehte sich vor dem Spiegel.
    »Nee, ich schlafe heute Nacht bei dir«, sagte sie beiläufig und so, als sei das längst ausgemacht. Nur ich wusste nichts davon. Vio seufzte. »Ich will nicht mehr nach Hause. Hab seit gestern Abend Zoff mit meiner Mutter«, gab sie zu. »Die macht den totalen Aufstand … wegen eines Fachs«, fuhr Vio fort und jetzt verstand ich erst recht nur Bahnhof.
    Das sagte ich Vio auch und da rückte sie endlich raus: Sie stand in Französisch inzwischen auf einer glatten Fünf. Tendenz: sinkend. Mit ihren zwei Vierern in Physik und Mathe war sie damit schon zu Anfang des Schuljahres eine der Schlechtesten in der Klasse. Die zwei Mal »Ausreichend« waren mir bekannt. Doch da ich Spanisch hatte, wusste ich nicht, wie schlecht sie in Französisch stand. Und sie konnte in diesem Fach nicht auf mich als Abschreibvorlage zählen. Außerdem erfuhr ich, dass sie die Französischlehrerin offenbar derart angemotzt hatte, dass diese postwendend einen geharnischten Brief an Vios Mutter schrieb. Die fiel aus allen Wolken, denn Vio hatte immer so getan, als wären ihre Französischnoten ganz passabel.
    »Meine Mutter hat sich aufgeregt, als hätte ich meine Französischlehrerin abgemurkst«, meinte Vio.
    »Und?«, bohrte ich. Vio hatte noch irgendwas in petto, das spürte ich.
    »Und jetzt habe ich Hausarrest«, gab Vio zu.
    »Nur wegen Französisch?«
    Ich war nun doch erstaunt. Bisher hatte ich Vios Mutter eher für den lockeren Typ gehalten.
    »Na ja«, gab Vio zögernd zu und sah aus wie ein Fuchs, den man in flagranti im Hühnerstall erwischt hat, »ich hab noch zu meiner Mutter gesagt, Versagertum liegt bei unswohl in der Familie – sieht man ja an ihrer Ehe. Da ist sie endgültig ausgeflippt.«
    Ich zog eine Grimasse. Kein Wunder, dachte
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