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Schlehenherz

Schlehenherz

Titel: Schlehenherz
Autoren: Heike Eva Schmidt
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schönes Gefühl. Daher versuchte ich, ein möglichst unbeteiligtes Gesicht aufzusetzen und verdrückte mich hastig mit einem belanglosen: »Alles klar. Naja, ich muss jetzt heim.«
    Hocherhobenen Hauptes, als wollte ich »Schwanensee« tanzen, rauschte ich ab. Grover sollte nicht sehen, dass ich mir in Wirklichkeit vorkam wie das hässliche Entlein.

    Ich wartete nicht. Ob er sich noch mal bei mir meldete oder nicht, war mir egal. Dass ich zweimal am Tag meine Mails checkte, war reiner Zufall. Schließlich hätte mir ja auch Nessie etwas Wichtiges schreiben können. Obwohl wir nach wie vor täglich zusammen zur Schule wanderten. Aber trotzdem.
    Am Freitag, nach einer Schulwoche ohne Mail-Eingang beschloss ich endgültig, mein schülerVZ-Profil zu eliminieren. Vielleicht war dies ja auch das letzte Mosaiksteinchen, das noch fehlte, um die ganzen schlimmen Erlebnisse der Vergangenheit ad acta zu legen. Doch als ich vor meinem Computer saß, zögerte ich. Den Finger schon auf der Maustaste, bereit auf »Profil löschen« zu klicken, hielt ich inne.
    Schnell und verstohlen drückte ich – zum letzten Mal, wie ich mir schwor – den Button »Neue Mails«.
    »Keine neuen Mails«, meldete mein Account hämisch.
    Okay, wie du willst, dachte ich grimmig.

    Von: [email protected]
    An: [email protected]
    Betreff: was trinken gehen

    Hallo Diavolo,
    da ich deine Mailadresse nicht kenne, schreibe ich deinem Herrchen. Der soll dir bitte ausrichten, dass ich dich gerne irgendwohin einladen würde. Immerhin hast du mich gerettet und das muss gefeiert werden, finde ich. Du darfst dir gerne aussuchen, ob du Wasser oder etwas Stärkeres trinken möchtest – wie wär’s mit einem Napf voll Milch?
    Ich hoffe, Grover sagt dir Bescheid.
    Bis dann, Lila

    Von: [email protected]
    An: [email protected]
    Betreff: RE: was trinken gehen

    Hi Lila,
    Diavolo ist begeistert und lässt ausrichten: Morgen 11 h im »Coffeebeans & More«.
    Allerdings lassen seine Tischmanieren ziemlich zu wünschen übrig und außerdem ist er chronisch pleite. Deswegen muss ich darauf bestehen mitzukommen. Damit er sich nicht total blamiert.
    Very sorry, aber ich tu’s für dich.
    Greez, Jonas

    Ich konnte nicht anders: Ich lachte los. Und merkte am spürbaren Klopfen meines Herzens zwischen den Rippen, dass ich mich freute.
    Auf den Hund – und auf seinen Besitzer. Blaue Haare hin oder her. Scheinbar hatten mir Grovers Witze irgendwie doch gefehlt.
    Als ich am nächsten Morgen aus der Haustür trat, wurde ich unvermittelt von der plötzlichen Helle geblendet. Ich kniff die Augen zusammen. Alles wirkte plötzlich so verändert. Und dann erkannte ich, warum: Der Rasen vor unserem Haus, der Gehweg und die Hausdächer sahen aus, als hätte ein Konditor großzügig Puderzucker darübergestäubt.
    Der erste Schnee war gefallen und hatte die Welt mit weißer Stille überzogen.

Epilog

    Von: [email protected]
    An: [email protected]
    Betreff: adieu

    liebe vio,
    heute ist das urteil gegen deinen mörder gesprochen worden: 13 jahre mit anschließender sicherheitsverwahrung. endlich kann er niemandem mehr etwas tun, und ich habe das gefühl, mein versprechen dir gegenüber nun doch eingelöst zu haben. nessie und grover werden nicht müde, mich immer noch zu betüddeln, als wäre ich aus porzellan.
    ja, vio, die beiden sind gar nicht so übel. vor allem seit grover sich von seinen blauen haaren getrennt hat und nun ein dezent zerwühltes mittelbraun auf dem kopf trägt. keine ahnung, was aus uns wird, aber ich mag ihn. jeden tag ein bisschen mehr. nein, ich sage nicht, er ist »nett« – das ist die kleine schwester von »scheiße«. du siehst, ich habe dich und deine sprüche noch längst nicht vergessen.
    inzwischen muss ich aber nicht mehr dauernd an dich denken. trotzdem vergeht kein tag, an dem du nicht in gedanken an meiner seite bist. aber ich glaube, auch das wird einmal nachlassen. wie perlen, die man an einer kette auffädelt, reihen sich mehr und mehr momente aneinander, die ich ohne dich erlebe:
    das erste mal halloween ohne deine verrückten ideen, wie wir uns verkleiden könnten.
    die ersten schneeflocken, die ich alleine mit der zunge auffange, ohne dass du neben mir stehst und so lange grimassen schneidest, bis ich mich vor lachen verschlucke. der erste weihnachtsmarkt, auf dem du mir nicht diesen scheußlich süßen glühwein schmackhaft machen willst.
    und schließlich: die ersten krokusse auf der wiese vor
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