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Schlehenherz

Schlehenherz

Titel: Schlehenherz
Autoren: Heike Eva Schmidt
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Zuschlagen einer Tür hörte. Ein metallisches Knirschen, als würde ein Schlüssel im Schloss gedreht. Und dann Nessies aufgebrachte Stimme: »Spinnst du? Gib mir meine Tasche! Was soll das?«
    Ich fuhr herum und sah diesen Andreas Schäfer vor der geschlossenen Tür der kleinen Kirche stehen. Aus dem Inneren war heftiges Klopfen zu hören. Nessie trommelte offenbar mit aller Kraft gegen die Holztür und schrie: »Mach die verdammte Tür auf! Lass mich raus! Lila, hilf mir!«
    Ich war wie betäubt, und mein Hirn weigerte sich zu begreifen, was ich da sah. Wie ein verrückter Film lief alles vor meinen Augen ab:
    Andreas, der entrückt lächelte. Nessies Handtasche, die er achtlos neben sich ins Gras hatte fallen lassen. Ihre Schreie in der Kapelle. Und ich – starr und stumm wie eine Figur auf der Bühne eines Kasperletheaters, kurz bevor das böse Krokodil auftaucht.
    Jetzt kam er auf mich zu und sagte: »Hallo – Schlehenherz«.
    Einen Augenblick war ich wie gelähmt. Als hätte er mit diesem Wort ein Gift durch meinen Körper geschickt, wie der Biss einer Schlange, der das Opfer erst bewegungslos macht, ehe er es tötet.
    Und da begriff ich plötzlich. Nichts anderes hatte Schäfer mit mir vor. Er verbarg sich hinter »Blauer Reiter«. Er war Vios Mörder. Und er würde bald meiner sein. Jetzt wollte er zu Ende bringen, was er im Moor nicht geschafft hatte.
    Ohne nachzudenken, bückte ich mich und meine Finger gruben sich in das lose Erdreich. Unvermittelt warf ich ihm eine Handvoll loser Erde ins Gesicht, dann wirbelte ich auf dem Absatz herum und rannte los. Ich hörte seinen Wutschrei – und dann waren seine Schritte hinter mir, ich vernahm seinen keuchenden Atem.
    Wie damals. Der Albtraum wiederholte sich, nur dass ich nicht schlief, sondern wach und in Lebensgefahr war. Obwohl ich wie ein gehetztes Tier um mein Leben rannte, kreiste in meinem Kopf die ganze Zeit der Gedanke, ob es Vio wohl genauso ergangen war. Und in diesem Augenblick, als sich entscheiden würde, ob ich entkam oder ihr Schicksal teilen würde, ging mir auf: Die schrecklichenTräume, in denen mir meine tote Freundin erschienen war, waren keine Rache Vios gewesen, sondern Warnungen. Die ganze Zeit hatte sie mir klarmachen wollen, dass ihr Mörder mir ganz nahe war. Ich hatte ihm, alias »Blauer Reiter«, nicht nur vertraut, ich hatte mir kurzzeitig sogar eingebildet, ein bisschen verliebt in ihn zu sein. Aber Vio schickte mir die Albträume nicht, weil sie eifersüchtig war oder sich von mir verraten fühlte, sie hatte mich nur vor ihrem Schicksal bewahren wollen. Zu spät.
    Ich wurde an meiner Jacke gepackt und zurückgerissen. Und dann roch ich ihn wieder, diesen grauenhafte Geruch, den ich bei der Hetzjagd im Moor zum ersten Mal wahrgenommen und der mich in der Schule zum Umkippen gebracht hatte. Er ging von Schäfer aus, die klebrigsüße Moschusnote seines widerlich billigen Aftershaves, gemischt mit seinem Schweißgestank, raubte mir fast den Atem.
    Ich keuchte und würgte, versuchte mich loszureißen. Doch da schlang sich plötzlich etwas Weiches um meinen Hals. Schlagartig wurde mir die Luft abgedrückt.

    Grover biss sich vor Nervosität die Finger wund, während der Tacho die 80-Stundenkilometer-Marke überschritt. Die Kommissarin war erst sauer gewesen, aber er hatte sich bis zum Parkplatz des Präsidiums nicht abschütteln lassen. Als sie sich ans Steuer setzte, öffnete er einfach die hintere Tür des Polizeiautos. Diavolo, der Autofahren liebte, hüpfte fröhlich auf den Rücksitz und war nicht mehr zum Aussteigen zu bewegen gewesen. Weil die Zeit drängte, hatte Monika notgedrungen nachgegeben.
    Jetzt holte sie aus dem Wagen heraus, was der Motor hergab. Die Sirene hatte sie gleich wieder ausgestellt, dennder Hund, der hechelnd und anfangs noch begeistert sabbernd auf dem Rücksitz lag, hatte prompt in das Heulen des Martinshorns eingestimmt und sich auch von seinem Herrchen nicht beruhigen lassen. Ehe sie von dem zweistimmigen Gejaule noch wahnsinnig wurde, hatte sie das Martinshorn abgestellt. Wenigstens rotierte das Blaulicht auf dem Wagendach weithin sichtbar und Monika schoss mit dem Vorrecht der Polizei über sämtliche rote Ampeln, ehe sie in den Weg zum Parkplatz der Loisachkapelle einbog.
    Bis zur Kirche konnte man nicht fahren, da es keinen Fahrweg gab. Mit quietschenden Reifen und einer Vollbremsung, die dem Riesenhund erneut einen Jammerlaut entlockte, kam das Polizeiauto zum Stehen. Direkt neben einem weißen
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