SCHLANGENWALD
Interesse war geweckt.
Wie soeben aus offizieller Quelle verlautbart wurde, konnte endlich jene Cessna geborgen werden, die seit über einem Monat vermisst wird. Alle acht Insassen kamen bei dem Absturz nahe der Ortschaft Quepos, 150 Kilometer südwestlich von San José, ums Leben. Unter den Toten befanden sich mehrere bekannte Umweltexperten, darunter der österreichische Biologe Roman Bartl. Das Flugzeug befand sich auf dem Weg zu einer Umweltkonferenz. Als Unfallursache wird ein technischer Defekt vermutet. Weitere Untersuchungen sind im Gange.
Paula starrte auf das Foto, das die Überreste der zerstörten Maschine zeigte. Ein technischer Defekt. So etwas konnte immer und überall passieren. Vielleicht sogar im nächsten Augenblick? Sie war froh, dass sie einen Platz beim Gang ergatterthatte. Der Blick aus einem Flugzeugfenster hatte sie noch nie beruhigt. Allein die Vorstellung, dass plötzlich ein Feuerstrahl aus einem der Triebwerke schießen konnte, war beklemmend. Ängstlich faltete sie die Zeitung zusammen und steckte sie in die Ablage. Zu spät, denn in ihrer Fantasie entstanden immer neue Absturzszenarien. Was, wenn der Mann mit der dunklen Sonnenbrille, der neben ihr saß, ein Terrorist war? Was hatte die Stewardess vorhin gezeigt? Wo waren noch mal die Schwimmwesten? Und wie musste man diese anlegen? Das hatte Paula nun davon, dass sie der Frau zwar fasziniert bei deren graziösen Bewegungen zugesehen, aber nicht auf die monotone Stimme im Hintergrund geachtet hatte, die alle Sicherheitshinweise heruntergeleiert hatte.
Acht
San José, Freitag
1.
Der Taxifahrer kämpfte sich durch die verstopften Straßen von San José . Er nutzte jede Lücke, um wieder ein kleines Stück weiterzukommen. Fußgänger liefen willkürlich zwischen den Autos herum, um die Straße zu überqueren. Paula konnte nur hoch hängende Autoampeln entdecken, Fußgängerampeln oder Zebrastreifen hatte sie bisher noch keine gesehen. Rad- und Mofafahrer schlängelten sich hupend zwischen den Autos hindurch und ernteten Schimpftiraden und geballte Fäuste.
Fast die Hälfte der Landesbewohner lebte mittlerweile in der costa-ricanischen Hauptstadt, was nicht zu übersehen war. Wohin Paula auch blickte, überall waren Menschen. Darunter zahlreiche Straßenverkäufer mit mobilen oder festen Verkaufsständen, die lauthals Waren verschiedenster Art anpriesen. Überall dröhnte es von Automotoren und Maschinen, laute Musik schallte aus Geschäften und Lokalen. All das summierte sich zu einem Getöse, das ihren Kopf beinahe zum Bersten brachte.
Dazu die feuchte Hitze zwischen verfallenden Häusern, der Gestank der Abgase und der Abfall auf den Straßen.
Obwohl Costa Rica als die Schweiz Mittelamerikas galt, war die Armut nicht zu übersehen: Kinder, darunter hochschwangere Mädchen, saßen auf Gehsteigen, wühlten im Müll nach Essbarem oder bettelten um ein paar Colones.
Paula wollte möglichst schnell ins Hotel, eine Dusche nehmen und frische Kleider anziehen. Die erhoffte Ruhe und Abkühlung fand sie jedoch auch hier nicht. Ihr Hotelzimmer hattekeine Klimaanlage und das einzige Fenster bot einen Ausblick in den Hofschacht. Die Belüftungsanlagen der anderen Häuser ratterten so laut, dass sie das Fenster trotz der Hitze geschlossen halten musste.
Nachdem sich Paula frisch gemacht hatte, wollte sie ein wenig durch die Stadt bummeln. Als Erstes fand sie sich auf dem Mercado Central wieder, der sich in der Nähe des Hotels befand. In der überdachten Markthalle wurde alles angeboten, was sich verkaufen ließ: von Obst und Gemüse über Haushaltsartikel bis zu Bekleidung und Lederwaren.
Anschließend ging Paula die Avenida Central entlang und gelangte zur Plaza de la Cultura , wo sie das feudale Gran Hotel aus den dreißiger Jahren entdeckte. Sie beschloss, den Rest des Tages auf einem schattigen Platz auf der großen Terrasse, die vom Verkehrslärm weitgehend verschont war, zu verbringen, das bunte Treiben auf der Straße zu beobachten und im Reiseführer zu schmökern. Nicht zuletzt wollte sie von den Machos in Ruhe gelassen werden, die ihr auf der Straße ständig nachpfiffen oder ihr Anzüglichkeiten zunuschelten. Vielleicht hätte sie doch den Ehering mitnehmen sollen, den Clea ihr aufdrängen wollte. Ihrer Meinung nach wäre die blonde Paula damit vor den stolzen Latinos einigermaßen sicher gewesen.
Mit Kandin hatte Paula vereinbart, am Montagmorgen nach Tamarindo weiterzufliegen. Dort würde er sie abholen, um sie in die
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