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Schlangenkopf

Schlangenkopf

Titel: Schlangenkopf
Autoren: Ulrich Ritzel
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es getan haben, ich hätte sonst nicht mit Ihnen gesprochen.« Erst jetzt tritt der Akzent stärker hervor, mit dem der Mann spricht. Es ist ein Akzent, der einen Anklang an das habsburgische, an das k. u. k. Südosteuropa hat.
    »Sie wollen nicht wissen«, fragt Berndorf, »wen dieser Mann töten wollte?«
    »Wozu? Vermutlich werden Sie mir sagen, dass dieser Mann mich töten wollte. Und? Ein jegliches hat seine Zeit, steht das nicht in der Bibel? Früher war man in Deutschland stolz, selbst in der Bibel zu lesen. Keine Priester dazu zu brauchen.«
    »Und wenn die Zeit kommt«, versucht Berndorf einen zweiten Anlauf, »sollte man da seine Dinge nicht in Ordnung bringen?«
    »Und was, mein Herr, soll nicht in Ordnung sein?«
    »Es betrifft den Vater der Frau, die dieses Buch hier geschrieben hat. Wie Sie wissen, ist das der frühere General Jovan Mesic. Um ihn zu schützen, wurde ein Befehl gegeben, der nicht richtig ausgeführt wurde. Ein junger Mann wurde hier in Berlin getötet, ein junger Mann, der nichts mit Mesic zu tun hat. Trotzdem war es ein Mord. Ich möchte, dass der General den Angehörigen ins Auge sieht. Jetzt. Dass er um Entschuldigung bittet. Dass er Schmerzensgeld anbietet.« Er blickt zur Mitte des ehemaligen Kirchenschiffs, wo Kemal und Nezahat Aydin stehen, ein wenig verloren, fast wie Bittsteller.
    »Sie sprechen von Mord«, antwortet der Mann mit unbewegtem Gesicht. »Darüber entscheiden die Gerichte.«
    »Nicht in diesem Fall«, antwortet Berndorf. »Über den früheren General Jovan Mesic wird der Internationale Gerichtshof entscheiden. Aber der Fall des jungen Mannes fällt nicht in die Zuständigkeit von Den Haag.«
    »Sie sind ein merkwürdiger Mann. Sie sind Deutscher, ja? Kennen Sie nicht das Sprichwort, die Nürnberger hängen keinen, sie hätten ihn denn?«
    » Wanderinnen im Tal der Demut , so steht es hier«, zitiert Berndorf den Buchtitel. »Wanderer gibt es dort wohl nicht?«
    »Sollten wir uns alle nicht um unsere eigenen Wege sorgen, mein Herr?«, kommt es als Antwort.
    Berndorf zögert, dann nickt er mit dem Kopf und wendet sich ab. Zorn ist plötzlich in ihm hochgestiegen, für einen Augenblick hat er das Gefühl, er sähe überhaupt nichts mehr außer der roten Wand seiner Wut, dann hört er einen Schrei, ein gellendes »Nein!«, es ist Nezahat, die so schreit, aus den Augenwinkeln nimmt er einen gelblichen Schatten wahr und wirft sich nach vorne, halb zur Seite gedreht, um sich über die Schulter abrollen zu lassen, aber ein Schlag trifft ihn an der linken Schulter, erst dann hört er einen Schuss und einen zweiten und liegt auf den steinernen Platten des Kirchenbodens, mit dem Gesicht auf dem einen Arm, mit dem er sich noch abgefangen hat, und der andere Arm …
    Eine Welle von Schmerz schießt ihm durch das Gehirn, als er den anderen Arm zu bewegen versucht, und der Schmerz übertönt noch das Geschrei und Getrappel in der Kirchenruine, er begreift, dass er sich aufrichten muss, weil er sonst totgetrampelt wird, irgendwie kommt er auch hoch, nein, er kommt nicht hoch, sondern Nezahat hilft ihm auf. Noch immer fliehen Menschen aus der Kirche oder schützen sich hinter umgekippten Tischen und Bänken, wo ist eigentlich die halbe Hundertschaft Polizei? Er blickt sich um, der Mann, den er für Jovan Mesic hält, und einer seiner Leibwächter stehen ein paar Meter von ihm entfernt, der Leibwächter mit einer großkalibrigen Pistole in der Hand, und beide blicken auf ein Bündel hinab, das zu ihren Füßen liegt. Schwankend, mit der rechten Hand den herabhängenden linken Arm haltend, geht Berndorf zu dem Bündel, es ist eine nicht gar zu große Frau, sie liegt auf dem Rücken in einer Blutlache, mit einem Loch in der Brust, die grünen Augen starren in den Himmel. Die Perücke mit den langen blonden Haaren ist vom Kopf gerutscht und hat die Pagenfrisur freigelegt.
    »Wer ist diese Frau?«, fragt Nezahat.
    »Das war Olga«, antwortet Berndorf. »Wer hat …?« Plötzlich wird ihm schwindlig, Nezahat muss ihn halten, er atmet durch und kippt dann doch nicht um.
    »Sie haben Glück gehabt«, hört er Mesic sagen. »Mein Bodyguard dachte, sie geht auf mich los.«
    D ie S-Bahn rattert durch den späten Vormittag, André blickt hinaus und sieht nichts von der Stadt. Er ist niedergeschlagen und weiß nicht, wie es weitergehen soll. Den ganzen Vormittag hat er in Tegel verbracht, aber was er vorhat, lässt sich dort so nicht machen.
    Natürlich gibt es Leute, die holen ihre Bordkarte
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