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Schlangenkopf

Schlangenkopf

Titel: Schlangenkopf
Autoren: Ulrich Ritzel
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Schwester Françoise bedankt sich nur bei den Besuchern und erklärt, dass es an den Ständen zu essen und zu trinken gebe, außerdem auch Bücher und Schriften, in denen man sich über ihre Gemeinschaft kundig machen könne, und dass der Architekt gerne das Modell für den Neubau erklären werde, und dazu weist sie auf einen größeren Stand, vor welchem ein Mann mit einem Zeigestab steht und freundlich lächelnd auf ein Modell mit roten Mauern aus Legosteinen und viel Plastikglas drum herum zeigt.
    Dann verneigt sich Schwester Françoise, es ist eine sehr anmutige Bewegung, aber das nimmt Zlatan schon nicht mehr wahr. Sein Blick ist auf die linke Seite des Kirchenschiffs gerichtet, also auf die eine Wand, die stehen geblieben ist. Unter einem der Mauerbögen, die früher in das linke Seitenschiff führten, tritt ein Mann hervor und bleibt am Pfeiler stehen, es ist ein sehr großer schlanker Mann in einem gut sitzenden grauen Straßenanzug, die Hände auf dem Rücken verschränkt, und auf nichts achtend außer auf die Frau auf dem Podium. Aber die bringt jetzt gerade einen Stuhl für eine andere Frau, die eine Sängerin oder Musikerin ist mit langen grauen Haaren und einer Gitarre in der Hand.
    Zlatan tastet durch den Mantel nach der Beretta. Sie steckt noch immer in seinem Hosenbund. Langsam schiebt er sich zu den Ständen vor, es gibt Erbseneintopf und Malventee mit Honig, an einem Büchertisch hat er plötzlich ein schmales Bändchen in den Händen: Wanderinnen im Tal der Demut heißt es und ist geschrieben von einer Françoise Mesic.
    S o findet zusammen, was zusammengehört«, sagt eine Stimme neben Zlatan. Er blickt auf, Berndorf steht neben ihm und kauft sich gerade eines dieser Bändchen. Eine ältlicher graubärtiger Mann scheint mit ihm gekommen zu sein und dazu ein Kopftuchmädchen. Fast sofort begreift Zlatan, dass das die Angehörigen des jungen Türken sind, der an seiner Stelle totgefahren wurde. Er fühlt sich unbehaglich, als sei er daran schuld, dass ihm jemand die Lederjacke gestohlen hat.
    »Warten Sie hier auf mich und trinken Sie solange einen Tee?«, schlägt Berndorf dem Graubärtigen vor, und dieser nickt – etwas zögernd – und stellt sich mit dem Mädchen an einem der Stände an, an denen Getränke ausgegeben werden. Berndorf nimmt Zlatan am Arm und führt ihn zur Seite, weg von den Ständen. Nach ein paar Schritten bleibt er stehen. Auf der Bühne hat die grauhaarige Frau ihre Gitarre gestimmt und fängt an, ein paar Akkorde zu greifen. Dann bricht sie wieder ab und teilt mit, dass sie jetzt ein Liebeslied singen werde, und zwar ein Lied der Liebe zu Gott, aber auf Altfranzösisch. Zum Glück hat sie eine angenehme Altstimme.
    »Blicken Sie jetzt nicht hin«, sagt Berndorf, »aber Sie haben den Mann da drüben gesehen, auf der anderen Seite, nicht wahr?«
    Zlatan schweigt.
    »Schlagen Sie sich alles aus dem Kopf, was Sie vorhaben«, fährt Berndorf fort. »Glauben Sie vielleicht, ich wüsste nicht, warum Sie sich diesen albernen Trenchcoat angezogen haben? Offenbar haben Sie es nicht wahrgenommen – aber dieser Mann da drüben hat zwei Leibwächter bei sich, Leute mit Schießeisen im Schulterhalfter. Bevor Sie nahe genug an Mesic herangekommen sind, um einigermaßen sicher treffen zu können, sind Sie ein toter Mann.«
    Zlatan zuckt die Achseln. »Und was soll ich dann tun, Ihrer Ansicht nach?«
    »Irgendwann muss einer mit den Lügen leben, in denen er sich eingerichtet hat«, antwortet Berndorf. »Gehen Sie. Sie sind dem anderen, dem richtigen Zlatan Sirko nur das Erinnern schuldig. Also gehen Sie und tun Sie, was der Andere auch getan hätte – suchen Sie sich einen neuen Job. Wenn Sie hier herumballern, trifft es nur die Falschen!«
    Zlatan zögert. »Warum glauben Sie eigentlich, dass man mich so einfach wegschicken kann? Wie einen kleinen Jungen?«
    »Ich schicke Sie weg, weil ich Sie wegschicken muss«, antwortet Berndorf. »Und Sie werden weggehen, weil ich sonst einem von diesen Uniformierten pfeife und ihm sage, dass Sie hier mit einer geladenen Schusswaffe herumlaufen.«
    I n einer Menschenmenge zu töten, ist nicht schwer. Ein richtig platzierter Stoß mit dem Messer, und plötzlich kippt jemand um. Herzanfall? Unterzuckerung? Die Leute rufen nach einem Arzt, allgemeine Aufregung, Hin und Her, irgendwer tut so, als ob er sich aufs Pulsfühlen versteht. Und bis jemand entdeckt, dass diesem Menschen da ein Messer im Bauch steckt, ist man selbst längst in der U-Bahn.
    Nur
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