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Schlangenkopf

Schlangenkopf

Titel: Schlangenkopf
Autoren: Ulrich Ritzel
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Baustelle, dann nach rechts, die Mauer des alten Friedhofs entlang, vielleicht noch dreihundert Meter, dann die Treppen hoch und Feierabend! Im Kühlschrank wird noch ein Bier sein, mehr braucht er nicht, oder vielleicht doch erst einen Pflaumenschnaps, denn es ist so kühl, dass ihn selbst in der neuen Lederjacke fröstelt, vielleicht läuft er deswegen ein wenig schneller …
    »Warum rennst du denn so?« Aus der Dunkelheit der Baustelle löst sich ein Schatten und gleitet neben ihn. »Hast mal ne Zigarette?«
    Zlatan ist Nichtraucher, aber er sagt, gerade vorhin habe er die letzte geraucht, »da vorne ist eine Kneipe, die hat noch offen«, sowieso habe er noch ein Bier trinken wollen, »da kriegen wir auch Zigaretten …«
    »So ein netter Kumpel!«, sagt der Schatten, »nur blöd, ich lass mich nicht auf ein Bier und sonst noch was einladen, mit mir nicht, verstehst du?« Und plötzlich hört Zlatan dieses metallische Klicken, und der Schatten ist nicht mehr neben ihm, sondern vor ihm und drängt ihn zurück in die dunkle Ecke zwischen Bauzaun und brüchigem Gemäuer, ein Kerl in einem T-Shirt, nicht größer, nicht breiter als er selbst, und Zlatan sieht noch in der Dunkelheit das Grinsen und die Rattenzähne im mageren Gesicht und den Ziegenbart, nur das Springmesser sieht er nicht, das braucht er auch gar nicht zu sehen, das hat er ja schon gehört.
    Er hebt beide Hände hoch, die Handflächen nach außen gekehrt. »Kein Problem, ich muss nur die Zigaretten erst holen.«
    »Schöne Jacke haste da!«, sagt der Schatten, der so tut, als habe er gar nicht zugehört, und Zlatan begreift und zieht die Jacke aus, es ist wirklich eine schöne Jacke, eine Biker-Jacke, schwarz, mit weißen reflektierenden Besätzen, und reicht sie dem anderen. Der nimmt sie mit der linken Hand und hängt sie sich über die Schulter, denn in der rechten Hand hat er noch immer das Springmesser, und das heißt, dass er noch nicht fertig ist mit Zlatan.
    »Den Geldbeutel«, sagt Zlatan, »den hab ich in der Hosentasche – Moment!« Und er dreht sich so, dass der andere sehen kann, wie er aus der rechten Hosentasche langsam eben kein Messer, sondern das Portemonnaie holt, es sind vielleicht fünfzig oder sechzig Euro drin, vielleicht ist der andere zufrieden damit, vielleicht geht es ihm auch gar nicht darum, sondern um die Angst, um die Angst, die Zlatan hat und mit der er, der Schatten, spielen kann wie die Katze mit der Maus … Motorengeräusch nähert sich, Scheinwerferlicht tastet die enge Straße ab und erfasst für einen Augenblick die beiden Männer in dem Winkel an der Baustelle, den einen mit dem Geldbeutel in der ausgestreckten Hand, den anderen mit der Lederjacke über der Schulter, der das offene Messer blitzschnell in der Hand hat verschwinden lassen, und für diesen einen Augenblick verharren die beiden Männer, als seien sie Standbilder, aus Stein gehauen oder in Bronze gegossen: Nächtliche Straßenszene, Neuer Deutscher Realismus …
    A ndré, ja?« fragt Wanda Kuhlebrock. »Noch nicht ganz achtzehn? Höre ich das richtig?«
    »Noch nicht ganz«, antwortet die Stimme, die ein wenig brüchig ist, so als wisse sie selbst nicht, zu welchem Alter sie gehört.
    »Und noch auf?«
    »Das haben Sie doch selbst gesagt, dass das die Stadt ist, die nicht schläft!«
    »Ja, dann«, lenkt Wanda ein, »und was kann ich für dich tun?«
    »Ich will nur einen Gruß sagen. Einen Gruß an die Elke. Dass alles okay ist. Aber mal wieder melden könnte sie sich.«
    »Oh!«, macht Wanda. »Höre ich da ein Herzeleid heraus? Ist deine süße kleine Elke womöglich ein klein wenig treulos?«
    »Nö«, antwortet die Stimme. »Es ist schon alles okay. Ich weiß, dass sie immer Ihre Sendung hört …«
    »Wenn du es sagst«, meint Wanda. »Also, Elke! Aufgepasst: Morgen meldest du dich bei André, und damit du es nicht vergisst, spielen wir von den Red Hot Chili Peppers … Moment … hier haben wir es schon: Don’t forget me …«
    D er Lichtkegel schwenkt weiter, natürlich hält der späte Autofahrer nicht an und fragt, ob es ein Problem gebe und ob er die Polizei rufen solle, späte Autofahrer tun das selten oder nie, denn die Polizei wartet nur auf eins: auf Autofahrer, die man spät nachts ins Röhrchen blasen lassen kann. So verschwindet das Scheinwerferlicht, und das Motorengeräusch verklingt, und Zlatan öffnet den Geldbeutel, so dass der Schatten sich die zwei Zwanziger und den Zehner herausnehmen kann und dann endlich genug
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