Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schlangenkopf

Schlangenkopf

Titel: Schlangenkopf
Autoren: Ulrich Ritzel
Vom Netzwerk:
auf, Solveig steht vor ihm, im Bademantel, die Haare frisch gewaschen und mit einem Handtuch eingebunden.
    »Gern«, sagt Fausser, »mit dir frühstücke ich sogar sehr gern …«
    »Wirklich?« Jetzt klingt die Stimme nicht nur wach und klar, sondern auch ein wenig kühl. »Sonst willst du morgens doch immer mit deiner Frau telefonieren.«
    A n diesem Morgen liegt ein Geruch in der Luft, als werde es nun doch Frühling, und dass einmal Winter war, sieht man nur noch am Splitt, der auf den Straßen und Gehsteigen zurückgeblieben ist. Ein Mann im offenen anthrazitgrauen Lodenmantel, den breitkrempigen schwarzen Hut in den Nacken geschoben, bleibt vor einer leeren Bierdose stehen und betrachtet sie und betrachtet den Bauschuttcontainer, der ein paar Schritte weiter aufgestellt ist, und sieht sich um, ob ihm wohl einer zusieht, wenn er die Dose mit dem Innenrist … Doch dann fällt ihm ein, dass in der Dose womöglich noch ein versiffter Rest Bier sein wird, der ihm dann den Schuh versaut. Und das eine Knie nutzt noch immer jede Gelegenheit, um übel zu nehmen. Seit wie vielen Jahren ist das nun schon so?
    Der Mann mag nicht darüber nachdenken und geht weiter, vorbei an einer Baustelle. Die Wohnblocks um ihn herum treten zurück und lassen Platz für einen von Mauern umgebenen Park, den alten Garnisonfriedhof, überragt von Baumkronen, deren Blätter über Nacht aus den Knospen aufgebrochen sind wie lindgrüne Fontänen.
    Vor dem Backsteinhaus gegenüber dem Park, das seit Wochen eingerüstet ist, will der Mann die Straße überqueren, bleibt aber unvermittelt stehen. Auf dem Pflaster vor ihm sind auf einzelnen Steinen weiße, kaum verwischte Kreidestriche zu erkennen, und der Mann ertappt sich dabei, wie er den Kopf schräg legt, um ein Muster in den Markierungen zu erkennen. Er zögert kurz, dann tritt er auf die Fahrbahn und folgt den Zeichen, es sind Pfeile, die auf den Gehsteig gegenüber weisen, zur Friedhofsmauer hin, deren graubrauner Verputz an einigen Stellen aufgerissen scheint, als sei ein Gefährt daran entlang geschrammt, auch diese Stellen sind mit Kreide bezeichnet … Die Pfeile weisen weiter, zurück auf die Fahrbahn, bis zu einem über mehrere Steine gezogenen Kreidestrich, der auf eine Unterbrechung oder – genauer – auf eine Kollision schließen lässt. Er betrachtet den Strich, dann geht er weiter, zu den mehr oder weniger angedeuteten Umrissen, die die eines Menschen sein könnten, den man dort auf der Fahrbahn gefunden hat. Schließlich bückt er sich und entdeckt – ohne große Überraschung – auf dem Pflaster und in den Fugen dazwischen die dunkel verfärbten und angetrockneten Reste einer Flüssigkeit.
    »Gestern Nacht war das«, sagt eine Stimme.
    Der Mann blickt auf. Die Stimme – hell, kurz vor dem Stimmbruch – gehört einem Jungen, der auf dem Gehsteig steht und ihm zusieht.
    »Ich hab es gehört«, fährt der Junge fort. »Den Motor hab ich gehört. Wie er hochdreht. Und das Kreischen.«
    »Das Kreischen?« Der Mann blickt zweifelnd.
    »Ja doch«, versichert der Junge. »Als das Auto die Mauer entlang ist. Aber dann ist es zurück auf die Straße und hat den Mann erwischt. Ich hab den Schlag gehört.« Der Junge deutet auf die Gestalt, deren Umrisse auf der Fahrbahn skizziert sind. »Den da hat es erwischt …«
    »Und wann hast du das alles gehört?«
    »Hab nicht auf die Uhr gesehen«, kommt die Antwort, plötzlich abweisend.
    »Schon recht«, meint der Mann und geht entlang der Markierungen zurück, langsam, als habe er beim ersten Mal etwas übersehen. An der Friedhofsmauer bleibt er stehen, bückt sich und mustert den beschädigten Verputz.
    »Es muss ein Geländewagen gewesen sein«, meint der Junge, der ihm gefolgt ist.
    »Erklärst du mir, warum?« Der Mann hat sich wieder aufgerichtet und wendet sich ihm zu.
    »Wegen der Höhe«, meint der Junge. »Er muss die Mauer mit dem Kotflügel gestreift haben, aber bei einem normalen Auto müssten die Spuren tiefer sein. Und ein Lastwagen war es nicht, das hätt ich gehört. Also war’s ein Geländewagen.«
    Der Mann nickte. »Das hast du sauber hergeleitet. Respekt. Aber eine Frage: Der Motor hat hochgedreht – das hast du doch gesagt?«
    »Sicher hab ich das«, kam die Antwort. »War doch auch so.«
    »Und gebremst hat er nicht?«
    »Nein, hat er nicht. Kein bisschen.«
    »Stand der denn irgendwo und ist dann losgefahren, und der Fahrer hat dabei aufs Gas gedrückt, oder kam er die Straße runter?« Wieder blickt er auf
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher