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Schlangenkopf

Schlangenkopf

Titel: Schlangenkopf
Autoren: Ulrich Ritzel
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versteh dich nicht.«
    »… bin überfallen worden«, kommt es aus der Sprechanlage.
    »Bist du verletzt?«
    »Nein, nicht verletzt. Aber es ist alles weg. Schlüssel. Geldbeutel. Kann ich …?«
    »Nein«, sagt Miguel und wirft einen Blick auf die Bettcouch. Die Blonde liegt noch immer auf dem Rücken, mit angezogenen Knien, eine Hand zwischen den Beinen. »Kannst du nicht. Tut mir leid. Ich hab eine Frau hier.«
    »Du musst entschuldigen …«, kommt die Antwort. »Wirklich. Aber kannst du mir vielleicht eine alte Jacke oder einen alten Pullover leihen? Und einen Zwanziger oder so?«
    »Moment«, sagt Miguel seufzend und hängt den Hörer der Sprechanlage ein. In seinem Kleiderschrank findet er ein altes Sakko mit Fischgrätmuster auf den Ellbogen, das ist sowieso ein bisschen eng in der Taille, und auch einen Pullover, der aber keiner aus Cashmere ist. Weil nachts das Haus abgeschlossen ist, muss er den Bademantel überziehen und die Latschen und das Treppenhaus hinunter und nach draußen vor die Haustür, wo ein seltsam verstörter Mensch steht, Zlatan eben, seltsam war der schon immer, was hat er sich auch mit ihm bekannt machen müssen!
    »Weißt du«, sagt Zlatan, »ich war schon fast zu Hause …«
    »Ja«, unterbricht ihn Miguel, »erzähl es mir das nächste Mal! Hier …« Er drückt ihm das Bündel aus Sakko und Pullover in die Hände und holt den Fünfziger aus der Tasche seines Bademantels. Auf die Schnelle hat er keinen kleineren Schein gefunden. »Und das da. Aber Wiedersehen macht Freude!«
    Als Miguel wieder oben in seinem Appartement im fünften Stock ist, hat die Blonde offenbar fertig. Jedenfalls hantiert sie nicht mehr zwischen ihren Beinen herum, sondern zieht sich gerade den Büstenhalter an.
    »Ich will dich nicht aufhalten«, sagt sie. »Nicht bei den Dingen, die dir wirklich wichtig sind.«
    »Hör zu …«, hebt Miguel an, lässt es dann aber bleiben und trottet ins Bad, damit er endlich dieses blöde eingerollte Ding von seinem Schwanz entfernen kann.
    F ausser, noch einmal eingeschlafen, träumt von einer Hochebene, von Gestrüpp bestanden, und während er aufwacht, weiß er, dass die Hochebene die Brachwiese oberhalb der Siedlung meint, in der er aufgewachsen ist, und zugleich weiß er auch, dass hinter diesem Traumbild ein anderes verborgen ist, vielleicht sind Traumbilder wie russische Puppen, das eine enthält das andere, nur dass sich als Letztes ein winziges wimmerndes Kind findet …
    Bist du damit gemeint?, fragt er sich und ist plötzlich hellwach. Aus dem Badezimmer dringt anhaltendes Brausen, offenbar müssen alle Anhaftungen und Erinnerungen an die Nacht abgespült werden, ein dermatologischer Unfug! … Er greift sich die Fernbedienung und sucht einen Radiosender. Merkwürdigerweise hätte er jetzt Lust auf klassische – nein: auf sakrale Musik, auf die Beschwörung aller Menschen Sünden und auf ihre Vergebung, auf irgendein Stück mathematisch-göttlicher Klarheit, am besten von Johann Sebastian …
    »… noch immer läuft der Verkehr in und rund um Berlin reibungslos«, sagt eine Alt-Stimme, die für einen Alt eine Spur zu munter ist, »wie geschmiert also, dachte ich mir’s doch, ihr Süßen, aber so wird es nicht bleiben, die Bauarbeiten gehen ungebrochen weiter, die Karl-Marx-Allee ist auf jeweils einen Fahrstreifen verengt, ebenso die Torstraße bis zum Prenzlauer Tor …«
    Fausser hat den Kopf aufs Kissen sinken lassen, plötzlich ist wieder die Müdigkeit da, sie ist so groß, dass er nicht einmal Lust hat, den nächsten Sender zu suchen, alles ist zu viel und alles ist vergeblich, er blickt zur Decke, und ihm ist, als gerate sie in Bewegung und entschwinde.
    »… und dann bittet die Polizei noch um Hinweise – jetzt nicht weghören, es ist diesmal wirklich wichtig – die Polizei also bittet um Hinweise zu einem tödlichen Verkehrsunfall, bei dem gegen ein Uhr dreißig in der Kleinen Rosenthaler Straße in Berlin-Mitte ein dreiundzwanzigjähriger Mann ums Leben kam. Gesucht wird in diesem Zusammenhang der Fahrer eines dunklen Geländewagens, das Fahrzeug müsste an der linken Seite Beschädigungen, Streifspuren aufweisen …«
    Nun rafft er sich doch auf und drückt die Aus-Taste, wie schön, dass es still ist, für einen Augenblick schließt er die Augen, ist er nun doch noch einmal eingeschlafen?
    »Frühstückst du mit mir, oder willst du nochmal in dein Appartement?« Wieder die klare wache Stimme, Fausser taucht aus der Tiefe seines Sekundenschlafes
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