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Schlangenkopf

Schlangenkopf

Titel: Schlangenkopf
Autoren: Ulrich Ritzel
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vorstellen, dass das juristisch als Notwehr oder Nothilfe gewertet wird … Nein, diese Person ist kein Polizist, auch sonst kein Funktionsträger, der Veranstalter hat uns ausdrücklich gebeten, keine Polizei in der Kirche selber, da muss man sich dran halten, ich würde Sie hören wollen, wenn wir Polizisten in Zivil in die Heilige Messe schicken, und der Pfarrer hat sich’s vorher verbeten … Nein, die Kollegen haben nicht zu lange gebraucht, diesen Schuh ziehen wir uns schon gar nicht an, Polizeibeamte können nicht einfach losrennen, wenn es irgendwo knallt, Eigensicherung ist ein absolut vorrangiges Gebot …
    Dann kippt die Stimme des Senatsrats weg, an seiner Stelle ist Wanda Kuhlebrock wieder am Mikrophon: »… na, meine Lieben, wisst ihr mal wieder Bescheid? Wenn’s knallt, rennen unsere Freunde und Helfer nicht einfach davon, sondern sie tun es überlegt. Dazu nun ein kleines Liedchen von Georges Brassens, da liebt er nämlich nicht etwa einen Flic, also einen Polizisten, sondern die Frau von einem …«
    Entschlossen drückt Barbara auf die Aus-Taste. Schon immer hat sie Brassens gemocht. Aber nicht heute Abend.

Epilog

E s ist Dämmerung, vom Flusslauf der Argen her steigt ein Dunstschleier auf und verfängt sich in den Bäumen des Parks. Auf der Terrasse spielen zwei Männer Schach, der Bildschirm eines Computers zeigt die Stellung an, Weiß steht, wenn man genau hinsieht, auf Verlust, aber es droht ein langwieriges Bauernendspiel.
    Auf dem Bildschirm, unterhalb des Diagramms, erscheint die Frage: »Remis?«
    »Einverstanden«, sagt Berndorf und nickt dem Mann im Rollstuhl zu. Der gibt einen Befehl ein, und auf dem Bildschirm kehren die Schachfiguren in die Grundstellung zurück.
    Seit knapp einer Woche ist Berndorf in der Rehabilitationsklinik im Allgäu, in der Hoffnung, dass die Schulter nun doch wieder mobilisiert werden kann und er nicht noch einmal unters Messer muss. Am dritten oder vierten Tag war er gefragt worden, ob er zufällig Schach spiele – ein Langzeitpatient suche einen Spielpartner. Seither verbringt er die Abende mit dem Mann im Rollstuhl, der Mann heißt Christian Fausser, er ist gelähmt und kann nicht sprechen, aber sein Rollstuhl ist mit einem Computer versehen, den er mit der linken Hand bedienen kann, und dann erscheinen die Antworten auf dem Bildschirm.
    Das Schachdiagramm verschwindet, stattdessen erscheint eine Frage: »Nachrichten?« Tatsächlich zeigt die auf dem Monitor eingeblendete Uhr, dass es kurz vor acht ist.
    »Gerne«, antwortet Berndorf.
    Auf dem Bildschirm baut sich das Nachrichtenstudio des Ersten Programms auf, dann hört man auch schon die viel zu pathetischen Gongschläge, ein artiger Krawattenmann beginnt vorzulesen, was in der Welt geschehen ist. Berndorf hat seinen Liegestuhl ein wenig zurückgestellt und betrachtet die Bäume im Abendlicht und hört nur mit halbem Ohr zu, aber auf einmal ist er doch hellwach.
    … Im Bundestag ist es heute zu einer scharfen Auseinandersetzung um die hohen Verluste der von der Landesbank Süd übernommenen Privatbank Oheymer und Jaumann gekommen. Der Innenminister verteidigte den Bundesnachrichtendienst gegen den Vorwurf, die Privatbank gemeinsam mit dem früheren kroatischen Rüstungsstaatssekretär Jovan Mesic ausgeplündert zu haben. Es sei verantwortungslos, betonte der Innenminister, das Fehlverhalten einzelner Beamter dem Dienst insgesamt anzulasten. Auch treffe nicht zu, dass der Bundesnachrichtendienst behilflich gewesen sei, Jovan Mesic eine neue Identität zu verschaffen. Wie wiederholt berichtet, steht Mesic inzwischen wegen Kriegsverbrechen in Den Haag vor Gericht …
    Berndorf wirft einen Blick zur Seite. Seit dem Hirnschlag hängt Faussers eine Gesichtshälfte nach unten, was dem gesamten Gesicht einen unveränderlich zynischen Ausdruck verleiht. Dieses Gesicht ist wie eine stehen gebliebene Uhr, denkt Berndorf. Zweimal am Tag zeigt sie die richtige Zeit an.
    »Fast hätte ich ihn für einen ehrlichen Mann gehalten«, sagt Berndorf, fast beiläufig. »Den Innenminister, meine ich.«
    Er blickt zu Fausser, und dessen Gesicht sieht aus, als sei die Antwort darauf geschrieben. Zweimal am Tag! »Diese Idee«, fragt er, »das Kriegsgerät aus dem Arsenal der NVA als Schrott zu deklarieren, es nach Kroatien zu schicken, dort als Kriegsgerät wieder auferstehen zu lassen und damit auch noch mächtig Kasse zu machen – diese Idee ist in Pullach entstanden, nicht wahr?«
    Faussers Hand tippt auf der Tastatur
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