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Schlagmann

Schlagmann

Titel: Schlagmann
Autoren: Evi Simeoni
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überirdischen Gesicht, der die Schmerzen nicht zu fühlen scheint, die ihm die Pfeile in seinem Fleisch eigentlich verursachen müssten. Wir stellten uns Seite an Seite vor das Bild, und ich flüsterte:
    »Verstehst du mich jetzt? Das war Arne für mich damals, als ich eine junge Frau war.«
    Ali schaute mich verständnislos an.
    »Das soll Arne sein? Wieso?«
    Ich sah mir noch einmal die sanften Gesichtszüge des Märtyrers an und hatte das Gefühl, in diesem Moment die Spur zu mir selbst zu verlieren.
    »Ich war eben ein romantisches Mädel damals«, sagte ich und ärgerte mich über meinen bittenden Unterton. Um die Situation zu retten, sagte ich:
    »Ich verstehe mich ja selbst nicht. Das habe ich noch nie.«
    Ali lachte.
    »Bedürftigkeit schafft Illusion«, sagte er hart. »Da hast du die Moral deiner Arne-Geschichte.«
    Ich versuchte, mit meiner rechten Hand seine Linke zu fassen. Er ließ es geschehen, aber ich spürte, dass er sich dabei verkrampfte.
    Ich sagte: »Lass uns gehen. Ich sehe, dass es dir hier nicht gefällt.«
    Ali nickte und drehte sich um.
    »Wir könnten irgendwo ein Glas Bier trinken«, sagte er. »Oder was immer du willst. Champagner vielleicht?«
    Weil ich darauf keine Lust hatte, schlug ich einen Spaziergang vor.
    »Ich glaube, es ist nicht weit zum Kanal. Wir könnten am Wasser entlanggehen und uns ein bisschen unterhalten.«
    Ali zuckte mit den Schultern.
    »Wenn du willst.«
    Wir holten unsere Jacken und gingen hinaus. Es war noch früh am Nachmittag, aber schon dämmerig, und der Wind blies uns zarte Wolken von Schneekristallen ins Gesicht. Ali zog seinen Kragen hoch.
    Auf beiden Seiten des Kanals fuhren Autos in Zweierreihen, es stank nach Abgasen, und der Lärm war so groß, dass wir unsere Stimmen erheben mussten, um einander zu verstehen. Ich schob den Ärmel der Motorradjacke hoch und versuchte nocheinmal, seine Hand zu nehmen. Ali drehte sich zu mir um, legte seinen Arm um mich und drückte seine Lippen auf meinen Mund, aber er schien es aus Nettigkeit zu tun, wie um mich nicht zu enttäuschen.
    Ich entzog mich ihm und sagte:
    »Was ist los?«
    Ali gab mich bereitwillig frei und ging langsam weiter, mit der Spitze seines Wildlederstiefels trieb er einen Stein vor sich her. Wir waren auf einen ruhigeren Weg unter kahlen Kastanien gelangt, zwischen uns und der Straße lag ein Stück verdorrter Rasen und Buschwerk.
    »Ich hatte mir unsere Begegnung ganz anders vorgestellt«, sagte er und geriet ins Stocken.
    »Ich weiß schon, was du dir vorgestellt hast«, sagte ich plötzlich heftig. »Du dachtest, wir könnten zusammen einen zwitschern, bis wir fröhlich sind, und dann ins Hotelzimmer gehen und ein bisschen Sex machen, und dann tschüs.«
    Ali drehte sich um und packte mich an den Schultern.
    »Nein. Ich wollte dir sagen: Schau nicht mehr zurück. Schau in die Zukunft. Und dann … Ja. Dann wollte ich mit dir ins Hotel gehen. Wir haben nicht viel Zeit.«
    Er sagte, das intensive Nachdenken über Arne habe dazu geführt, dass er sich auch mit mir wieder intensiv beschäftigte.
    »Meiner alten Liebe«, sagte er. »Wieso hast du mich damals ignoriert? Wieso hast du immer nur Arne gesehen?«
    Neben uns gluckste das Wasser, es war das Begleitgeräusch fast aller unserer Begegnungen. Ich war der Ansicht, dass er die Antwort bereits kennen müsste.
    »Die Liebe ist so«, sagte ich und versuchte, sanft zu klingen.
    »Die Liebe« – Ali imitierte meinen Tonfall. »Was für ein strapaziertes Wort. Das ist das Etikett, das jeder auf seinen eigenen Wahn klebt.«
    Ich musste ihm recht geben, die Antwort war zu einfach.
    »Ich sehe es so: Das Leben hatte eine Rechnung mit mir offen, keine Ahnung warum. Ich musste etwas Entscheidendes lernen und brauchte Arne als meinen wichtigsten Lehrer.«
    »Und? Was hat er dich gelehrt?«
    Ich schaute auf das fließende Wasser und glaubte plötzlich, ein sinnvolles Muster in den Wellen zu erkennen.
    »Ich habe gelernt, dass ich keine Ahnung habe, von mir selbst nicht und von anderen Leuten erst recht nicht.«
    Ali blieb stehen und packte noch einmal meine Schultern.
    »Entschuldige«, sagte er, »aber unsere Verabredung kommt mir so billig vor. Ich fühle mich zu alt für solche Dinge.«
    Ich nickte. »Wie geht es deiner Familie?«
    »Genau«, sagte er ohne rechten Zusammenhang, sprach aber in weicherem Ton weiter. »Ich bin erleichtert, dass du sie ansprichst. Ich muss dir sagen, dass ich mich im Leben eingerichtet habe. Ich zahle ein Haus ab. Die
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