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Schlagmann

Schlagmann

Titel: Schlagmann
Autoren: Evi Simeoni
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hochgekrempelt hatte, aber sie schützte mich vor der Winterkälte, und im Zug konnte ich mich darin einkuscheln und ihren Geruch einatmen, der inzwischen ein bisschen muffig geworden war. Ali war zu einer medizinischen Fortbildungsveranstaltung nach Berlin gefahren und hatte das Treffen vorgeschlagen. Es war nicht nötig, dass er einen Grund nannte. Ich wollte Ali wiedersehen und er mich. Ich sagte, ich hätte zwei Tage Zeit.
    »Ich werde dir den Botticelli zeigen. Das Gemälde vom heiligen Sebastian«, sagte ich ihm am Telefon.
    Ali lachte laut.
    »Ach so …«, sagte er, und ich hörte an seiner Art zu reden, dass er grinste. »Du dachtest an eine Bildungsreise.«
    Ich spürte, wie meine Vorfreude einen kleinen Knacks bekam, unterdrückte das Gefühl aber und nannte ihm die Adresse meines Hotels. Er sagte, er könne bereits am Samstagmittag nach Berlin kommen und bis Sonntag mit mir zusammenbleiben, seine Veranstaltung beginne am Montagmorgen um acht.
    »Ich komme zu dir ins Hotel«, sagte er.
    »Ich hole dich besser vom Bahnhof ab«, erwiderte ich.
    Mein Zimmer in einem Hotel nahe dem Kurfürstendamm war schön und hell, nach hinten gelegen und seltsam still in dieser lauten Stadt. Ich ließ meine Reisetasche fallen, setzte mich in der Lederjacke aufs Bett und schaute in den Spiegel. In diesem fremden Zimmer kam ich mir auch selbst fremd vor. Ich fand, dass ich älter aussah als gewohnt, die Kälte draußen hatte meinGesicht schrumpfen lassen, meine Nase war rot. Seit einiger Zeit muss ich meine Haare tönen lassen, weil sie stellenweise grau werden, und gerade jetzt entdeckte ich, dass sie an den Schläfen hellgrau nachgewachsen waren.
    Ich drehte mich um und schaute auf das weiß bezogene Doppelbett. Wie viele heimliche Paare hatten diese Decken wohl schon zerwühlt? Jetzt waren die Laken stramm gespannt und knisterten wie Papier, als ich mit der Hand darüberstrich. Ich konnte mir plötzlich nicht mehr vorstellen, hier später mit Ali zusammen zu sein.
    Ich holte meine Schminktasche heraus und begann, meine Wimpern zu tuschen, langsam und gleichmäßig, damit sie nicht verklebten. Während ich das Ergebnis im Spiegel prüfte, kam mir der Gedanke, dass ich vielleicht gar nicht mehr in der Lage war, mit einem Mann zusammen zu sein. Ein paar Stunden vielleicht. Aber jedenfalls nicht für längere Zeit. Ich hatte große Zweifel, dass mir die Zweisamkeit noch einmal so viel bedeuten könnte, dass ich bereit wäre, die ganzen mit ihr verbundenen Zwänge und Peinlichkeiten in Kauf zu nehmen. Ich öffnete die Lederjacke und schaute auf meinen Körper. Trotz des dicken Wollpullovers und der gut geschnittenen Kaschmir-Hose konnte ich deutlich erkennen, dass ich in den letzten Jahren plumper geworden war. Ich hatte keine Lust, dagegen anzukämpfen.
    Das Telefon auf dem Nachttisch klingelte. Ali war dran. Er hatte einen früheren Zug genommen als angekündigt. Ich stand auf, nahm die Handtasche und den Zimmerschlüssel und ging hinunter, um ein Taxi zum Hauptbahnhof zu nehmen.
    Wie verabredet stand er vor der Apotheke nahe dem Ausgang. Er trug einen hellblauen Daunenparka, rieb gerade seine Hände gegen die Kälte und blies hinein. Erst als er aufblickte, erkannte er mich. Er schaute mich seltsam an.
    »Das ist Arnes Jacke, nicht wahr?«
    Ich nickte.
    »Woher hast du die?«
    »Man könnte sagen, ein Erbstück.«
    Statt einer Begrüßung fuhr er schweigend mit der Hand über den Jackenärmel.
    »Mensch«, sagte er. »Das ist ein Stück von ihm.«
    Ali hatte kein Gepäck dabei. Endlich legte er locker den Arm um meine Schulter und sagte:
    »Und? Was machen wir jetzt, wir beiden Hübschen?«
    Ich zuckte mit den Achseln.
    »Worauf hast du denn Lust?«
    Ali schien eine leichte Ungeduld niederzukämpfen.
    »Dein Wunsch ist mir Befehl«, sagte er mit einer ironischen Verbeugung. Ich schlug also noch einmal vor, den Botticelli anzusehen, und er war einverstanden. Ich zeigte auf den Taxistand, doch er wollte lieber die S-Bahn nehmen und ich ließ ihm seinen Willen.
    In der Galerie verbrachte er viel Zeit damit, die Kartenverkäuferin und die Garderobenfrau zu unterhalten, und ich ärgerte mich. Ich sah jetzt aber, dass Ali eine schicke Jeans und ein weißes Hemd trug, eigentlich ganz nach meinem Geschmack.
    Zum heiligen Sebastian war es nicht weit – er hing bereits im zweiten Saal. Ich freute mich darauf, das Gemälde wiederzusehen, und als ich den Saal betrat, war ich gleich wieder gefangen von dem schönen Mann mit dem
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