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Schlagmann

Schlagmann

Titel: Schlagmann
Autoren: Evi Simeoni
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Kinder studieren. Ich traue mich nicht.«
    »Was, Ali?«, fragte ich. »Was traust du dich nicht?«
    »Ich kann das nicht alles aufs Spiel setzen für dich.«
    Seine Aggressivität, die uns den ganzen Weg vom Bahnhof bis an diesen Kanal begleitet hatte, war plötzlich weg. Nun war ich es, die den Arm um ihn legte.
    »Aber Ali. Keine Sorge. Ich suche keinen dritten Ehemann.«
    Wir gingen noch ein Stück, schweigend, aber ohne Spannungen. Dann behauptete ich, ich hätte überraschend noch einen Termin in einer Filiale der Bank.
    Wir standen auf einer Brücke aus Holzbohlen, die sich über den Kanal wölbte. Das gusseiserne Geländer war rot und schwarz gestrichen, kleine Eiszapfen hingen daran. Wieder trieb eine Windböe zarte Kristalle durch die Luft.
    »Sprichst du noch mit Müller?«
    Ali nickte.
    »Eigentlich ist das unser Abschied von dieser Zeit«, sagte ich. »Nicht der Abschied im Krankenhaus. Auch nicht der Abschied beim Begräbnis, sondern jetzt.«
    Er sagte: »Ich bin froh, dass wir das Ganze noch einmal durchgestanden haben. Ich glaube, ich bin jetzt fertig damit.«
    Ich trat an das Geländer und fuhr mit dem Jackenärmel an den Eiszapfen entlang, die leise klirrend abfielen.
    »Ich habe nur noch eine Bitte«, sagte er. »Ich möchte einmal kurz Arnes Jacke anziehen.«
    Der Wind pfiff über die Brücke.
    Ich sagte: »Dazu ist es zu kalt. Es sei denn, du leihst mir deine.«
    Ali zog seine blaue Daunenjacke aus, der dünne Stoff seines weißen Hemds flatterte im Wind. Ich schlüpfte aus Arnes Lederjacke, fuhr rasch in Alis Jacke und schloss sofort den Reißverschluss, und es war, als könnte ich Alis Körperwärme in mich aufsaugen. Er griff nach der Lederjacke, kaum dass ich die widerspenstigen Ärmelenden heruntergekrempelt hatte, streifte sie über, und ich sah sofort, dass sie ihm passte, als wäre sie für ihn gemacht worden. Er schloss sie und klopfte auf die Brusttaschen.
    Ich sagte: »Lass uns einen Taxistand suchen.«
    Er fuhr sich verlegen durchs Haar.
    »Ich will weg«, sagte ich. »Und die Jacke kannst du behalten.«
    Er lächelte und umarmte sich selbst. »Wirklich?«
    Später schickte ich ihm seine Daunenjacke zurück. An seinen Arbeitsplatz im Krankenhaus, damit Katja nichts merkte.

ALI,
    Zusammenfassung einer Tonbandaufzeichnung, Dienstag, 27. Januar 2009
    Als ich mit meinem Kombi auf den Friedhofsparkplatz fuhr, wäre ich beinahe in eine Baustellen-Absperrung aus rot-weißem Flatterband geraten. Zwei Arbeiter schlugen mit einem Presslufthammer einen Schlitz in den Asphalt. Der Lärm war selbst im geschlossenen Auto fast unerträglich. Als ich die Tür öffnete, musste ich mir einen Moment lang die Ohren zuhalten. Ich griff nach dem schwarzen Jackett auf dem Rücksitz, schloss den Wagen so schnell wie möglich ab und ging eilig davon. Mein weißes Oberhemd klebte auf meinem Rücken. Die Sonne hatte den Parkplatz bereits aufgeheizt, der Morgen versprach einen schwülen Spätsommertag. Olympiawetter. Neun Jahre war das her. Wir waren der Gold-Achter gewesen. Nun waren wir nur noch sieben.
    Der Gedanke, dass ich nun gleich das Jackett anziehen sollte, machte mich beinahe aggressiv. Der Presslufthammer dröhnte, und ich fragte mich, ob die Arbeiter wohl darauf Rücksicht nehmen würden, dass hier gleich ein Begräbnis stattfand. Ich gestikulierte in ihre Richtung, aber sie nahmen mich nicht wahr. Der Himmel stand gnadenlos blau über mir, auf dem Boden lagen frische Kastanien zwischen den Resten ihrer Schalen, ich kickte ein paar davon beiseite. Am Eingangstor zog ich das schwarze Jackett über, und sofort spürte ich, wie die Sonne auf meine Schultern brannte. In meinem Rücken der Lärm. Ich schaute auf die Uhr – zehn vor zehn, ich war spät dran.
    Der Weg durch den Friedhof war mit unregelmäßigen Steinen gepflastert. Als ich wieder aufblickte, stand Anja vor mir in einem schwarzen Kostüm. Sie nickte mir zu und ging vor mirweiter, offensichtlich hatte sie Mühe, mit ihren hochhackigen Schuhen nicht umzuknicken. Ich rief:
    »Warte!«
    Aber der Lärm vom Parkplatz war immer noch so groß, dass ich zweifelte, ob sie mich gehört hatte. Ich beschleunigte meinen Schritt, bis ich neben ihr ging, und fragte laut:
    »Wie geht’s?«
    Sie neigte sich zu meinem linken Ohr und schrie:
    »Bestens.«
    Urplötzlich hörte der Baulärm auf, so unvorhergesehen, dass sie ihre Lautstärke nicht mehr dämpfen konnte.
    »Ich heirate übrigens im Herbst«, brüllte sie. Dann hob sie entschuldigend die Hände.
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