Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schlagmann

Schlagmann

Titel: Schlagmann
Autoren: Evi Simeoni
Vom Netzwerk:
was ich finde? Deine Welt soll auch meine Welt endlich in Frieden lassen.«
    Ich schleuderte wütend meine Umhängetasche über die Schulter, so dass die Schlüssel, ein Lippenstift und ein paar Münzen auf den Linoleumboden fielen. Ich bückte mich rasch und sammelte unter den Blicken der Putzfrau, die aus dem Krankenzimmer gekommen war, die Sachen wieder auf. Als ich aufschaute, war Ali zu meiner Verwunderung immer noch da.
    Ich sagte: »Arne hat uns beide an unsere Grenzen gebracht. Ich will nicht, dass wir gegeneinander kämpfen.«
    Er machte ein verständnisloses Gesicht, drehte sich um und ging weg.
    Ein paar Sekunden lang konnte ich mich nicht rühren – bisich spürte, dass hinter meinem Rücken jemand stand. Ich drehte mich um, die Putzfrau sah mich an und streckte mir ein schwarzes Bündel entgegen. An ihrer Hand klebten Schaumflocken.
    »Bitte«, sagte sie. »Im Schrank gefunden.«
    Es war Arnes Lederjacke. Ich nahm sie rasch, die Stelle, die ich zuerst berührte, fühlte sich vom Putzwasser glitschig an. Ich hängte sie über meinen Arm und stöckelte Richtung Aufzug davon.

ALI,
    Zusammenfassung einer Tonbandaufzeichnung, Dienstag, 6. Januar 2009
    Mein Kopfkissen war klamm, und ich stank. Ich fühlte mich wie ein überfahrenes Tier. Auch der Cocktail aus Schmerztabletten, Entzündungshemmern und Antibiotika, den ich mir selbst verordnet hatte, half nicht, ich versank im Fieber. Zwischen mir und dem Rest der Welt lag eine Dämmschicht aus Hitze sowie Schwindelgefühl, und ein Schmerz riss an meinen Gelenken, der aus dem Inneren meines Körpers zu kommen schien. Ich hörte, dass Katja ins Zimmer kam, konnte aber meine Augen nicht öffnen. Stunden später entdeckte ich, dass sie eine Tasse schwarzen Tee auf meinen Nachttisch gestellt hatte. Er war kalt. Der Beutel hatte so lange gezogen, dass ein Film die Oberfläche bedeckte. Neben der Tasse stand ein Teller mit trockenen Keksen. Ein krampfartiger Husten überfiel mich, der mir tief in meiner Lunge weh tat. Im unteren Stockwerk des Hauses klingelte das Telefon. Ich krächzte: »Katja!« Aber offenbar war sie nicht da. Das Telefon klingelte noch drei-, viermal, dann verstummte es.
    Wie lange lag ich schon hier? Hatte ich geschlafen? Draußen schien es zu dämmern. Abend oder Morgen? Ich hörte das leise Brummen eines Autos auf der Straße. Der Heizkörper knackte. Auch die Kinder schienen fort zu sein. Ich legte mich flach auf den Rücken und verfolgte mit den Augen den Riss, der sich durch den weißen Kalkputz der Decke zog. Ich kannte jeden Millimeter: seine spitze Zacke nach etwa einem Drittel, die doppelte Linie in der Mitte und die breitere Absplitterung am Ende.
    Ich schloss die Augen und wanderte zurück in einen alten Traum, in den Achter. Vor mir Arne, seine Muskeln, die arbeitetenwie ein Mahlwerk. Sie mahlten mich klein, ich fühlte den rauhen, sandigen Schmerz auf meiner Außenhaut. Arne beugte sich vor, drehte sich um und sah mich über seine Schulter hinweg mit mitleidigen Augen an.
    Ich hustete.
    Ich wollte weg.
    Mein Name fiel mir nicht mehr ein.
    Plötzlich stand Katja vor meinem Bett, in der Hand ein Glas voll mit dunkelgelbem Saft.
    Ich schrak zusammen.
    »Was willst du?«
    Sie stellte das Glas beiseite und legte mir ihre Hand auf die Stirn.
    »Du hast hohes Fieber.«
    Sie half mir dabei, mich aufzurichten und hielt mir das Glas an die Lippen. Das Getränk war angenehm zäh und kühl.
    Als ich die Augen wieder geschlossen hatte, kehrte ich sofort ins Boot zurück. Ich hörte die hallenden Lautsprecher-Ansagen und sah die vielen bunten Fahnen am Streckenrand flattern. Ich war jung und stark und saß auf meinem Platz, den Riemen locker in der Hand. Das Licht ringsumher war seltsam schwach, das Bild schwankte wie in einem Amateurfilm, das Wasser plätscherte an meinem Ruder. Etwas war falsch: Wir hätten schon längst losrudern sollen, aber niemand gab das Zeichen dazu. Der Schlagmann tauchte ganz sanft sein Ruderblatt ins Wasser. Ich schrie: Wir müssen an den Start! Aber das hatte keine Konsequenzen. Ich sah nur Arnes Rücken vor mir, der jetzt vibrierte, als lachte er.
    Ich schrie: Los, Arne. Jetzt muss der schönste Moment in meinem Leben kommen!
    Arnes Rücken vibrierte immer noch.
    Ich schrie: Vorwärts, Arne. Wir müssen ziehen!
    Er tauchte wieder mit laschen Bewegungen den Riemen ein und zog ihn aus dem Wasser. Das Boot bewegte sich kaum vorwärts. Die anderen sechs blieben stumm hinter mir.
    Ich schrie: Arne, hörst du nicht?
    Alles
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher