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Schlafende Geister

Schlafende Geister

Titel: Schlafende Geister
Autoren: Kevin Brooks
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hatte alles in meinem Büro. Und später, als ich beschloss, dass ich Annas Leiche ein Beweismittel unterschieben musste, waren die Unterlagen immer noch da. Schön praktisch. Und dann wurde mir natürlich klar: Falls die Leiche tatsächlich gefunden würde und wir die Tatsache kommunizierten, dass wir Viners DNA unter Annas Fingernägeln gefunden hätten, würde die ganze Aufmerksamkeit Ihnen und Viner und dieser Serienmörder-Geschichte gelten. Und während das alles liefe, könnte Ray still und heimlich verschwinden. Aber jetzt …« Er warf wieder einen Blick auf seinen Bruder, dann schaute er zu mir zurück. »Na ja, das läuft jetzt wohl nicht mehr, was?«
    Ich nickte. »Es ist vorbei … für Sie beide.«
    Bishop lächelte. »Das würde ich nicht sagen.«
    »Geben Sie mir Ihr Handy.«
    »Sicher nicht.«
    Ohne den Blick von ihm zu wenden oder die Waffe von Rays Kopf zu nehmen, tastete ich Rays Hosentaschen ab, um ein Handy zu finden. Die vorderen Taschen waren leer, deshalb beugte ich mich über ihn und fasste in die Gesäßtaschen, aber auch sie waren leer.
    »Sie verschwenden Ihre Zeit, John«, sagte Mick. »Er trägt kein Handy bei sich, wenn er …«
    »Wenn er was? Menschen umbringt?«
    Mick zuckte die Schultern.
    »Geben Sie mir Ihr Handy«, sagte ich wieder. »Oder ich töte Ihren Bruder.«
    Er seufzte. »Wissen Sie was, John? Geben Sie mir die Waffe und dann können wir alles bereden. Was halten Sie davon?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Lieber töte ich ihn.«
    »So wie Sie Viner umgebracht haben?«
    »Genau.«
    »Aber das hier ist etwas anderes, John.«
    »Wieso?«
    »Wenn Sie Ray töten wollen, müssen Sie auch mich töten.«
    »Und warum sollte ich das nicht tun?«
    Er lächelte. »Weil ich ein DCI bin, ein Polizeibeamter im Dienst. Und egal, was für ein Schwein ich bin, egal, wie verhasst und verachtet ich bin … ich bin immer noch ein Polizeibeamter im Dienst. Und das heißt, wenn Sie mich töten, sind Sie erledigt. Garantiert. Dann gehen Sie für den Rest Ihres Lebens in den Knast.«
    »Wissen Sie was?«, sagte ich und fühlte mich plötzlich unsäglich müde. »Das spielt für mich alles keine Rolle mehr. Es ist mir egal, was mit mir geschieht, und es ist mir auch egal, ob Sie mir glauben oder nicht.« Ich schaute auf Ray. Er kam langsam wieder zu sich – stöhnte leise und starrte aus seinen benebelten Augen zu mir hoch. Ich starrte zurück, sah nur diesen halb toten Sack aus Knochen und Blut, dieses herzlose Etwas mit dem defekten Hirn. Und in dem Spiegel seiner getrübten Augen sah ich mich die Waffe an meinen eigenen Kopf halten … und ich hörte eine Stimme, die meine hätte sein können oder die meines Vaters.
    Es wird gar kein Gefühl sein, John.
    Es wird überhaupt kein Gefühl sein.
    Und da wusste ich, dass ich nur abdrücken musste.
    »Was ist mit Bridget?«
    Ich schaute langsam zu Bishop hoch. »Was?«
    »Mag ja sein, dass es Ihnen egal ist«, sagte er. »Aber was ist mit Bridget?«
    Ich seufzte. »Was soll mit ihr sein?«
    »Nun, wie ich Ray kenne, wird sie in der letzten Stunde oder so die Hölle durchgemacht haben. Und ich könnte mir vorstellen, dass sie jemanden braucht, wenn das Ganze hier vorbei ist, egal wie es ausgeht. Jemanden, der sich um sie kümmert, jemanden, der versteht, was sie durchgemacht hat. Ihnen muss ich doch nicht sagen, wie das ist, wenn man jemanden verliert, der einem wirklich wichtig ist, John, jemanden, der einen wirklich versteht. Natürlich weiß ich nicht, wie nahe Sie beide sich stehen.«
    »Sie sind krank«, sagte ich müde. »Das wissen Sie, oder? Sie sind durch und durch krank, verdammt.«
    Er lächelte. »Ich versuche nur, Ihnen zu helfen, das größere Ganze zu sehen, John. Das ist alles. Ich versuche Sie daran zu erinnern –«
    »Ich weiß, was Sie tun.«
    Er sah mich ein paar Sekunden an und nickte nachdenklich, dann stand er auf und kam ganz langsam auf mich zu. »Also, was halten Sie davon?«, sagte er ruhig. »Sie geben mir die Waffe, wir setzen uns hin, überlegen uns was und fertig – Schwamm drüber.«
    »Schwamm drüber?«, sagte ich ungläubig.
    Er nickte. »Vertrauen Sie mir – ich regle das. Bis morgen früh ist Ray verschwunden, Bridget liegt im Krankenhaus und Sie sind, wo immer Sie sein wollen.« Er blieb vor mir stehen und streckte die Hand aus. »Sie müssen mir nur die Pistole geben.«
    Ich sah zu ihm hoch, und wenn nicht diese überwältigende Müdigkeit in mir gewesen wäre, hätte ich wahrscheinlich laut losgelacht
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