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Schindlers Liste

Schindlers Liste

Titel: Schindlers Liste
Autoren: Thomas Keneally
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ebenso wie sein Vater, kein Kirchgänger war.
    Man darf daraus aber nicht auf eine von Erbitterung bestimmte häusliche Atmosphäre schließen. Das wenige, was wir von Schindler selber über seine Kindheit wissen, deutet auf das genaue Gegenteil. Er genoß den Garten, bastelte am Motor von seines Vaters Automobil herum, baute sich ein Motorrad. Er hatte einige jüdische Freunde, deren Eltern wie die seinen zum Mittelstand gehörten und die ihre Kinder auf die deutsche Schule schickten. Das waren keine orthodoxen Juden, sondern liberale Geschäftsleute. Unweit von hier, im mährischen Freiberg, war Sigmund Freud vor nicht allzu langer Zeit in ähnlichen Verhältnissen zur Welt gekommen.
    Man ist versucht, nach einem Schlüsselerlebnis in Schindlers Jugend zu suchen, das mindestens einen Hinweis auf sein späteres Verhalten liefern könnte, etwa, daß er sich zum Beschützer eines diskriminierten jüdischen Mitschülers aufwarf, doch dergleichen findet sich nicht, es wäre auch irgendwie allzu passend. Auch bedeutete es nichts, wenn sich nachweisen ließe, daß er verhindert hat, daß einem jüdischen Kind die Nase eingeschlagen wurde.
    Himmler persönlich beklagte sich einmal darüber, daß jeder Deutsche einen jüdischen Freund habe: »Unser Programm sieht zwar die Ausrottung der Juden vor und theoretisch sind wir alle sehr dafür, aber wenn es hart auf hart geht, hat jeder von achtzig Millionen Deutschen seinen anständigen Juden, den er retten möchte.«
    Auf der Suche nach einem Motiv für Schindlers späteres Verhalten stoßen wir auf den Nachbarn, den liberalen Rabbiner Dr. Felix Kantor, einen Schüler von Abraham Geiger, einem Liberalen, der gesagt hatte, es sei lobenswert, zugleich Jude und Deutscher zu sein.
    Kantor war alles andere als ein rigider Dorfrabbiner, er trug modische Kleidung und sprach daheim deutsch. Sein Bethaus nannte er einen Tempel, nicht eine Synagoge, und hier versammelten sich die jüdischen Ärzte, Techniker, Textilfabrikanten aus Zwittau. Kantor schrieb nicht nur für jüdische Blätter in Prag und Brünn sondern auch für Tageszeitungen.
    Seine beiden Söhne waren Mitschüler von Schindler, beide intelligent genug, um dermaleinst Leuchten der deutschen Universität von Prag zu werden. Sie spielten mit den Schindlerkindern, wie Nachbarskinder eben miteinander spielen, und Dr. Kantor mag geglaubt haben, alles könnte wirklich so kommen, wie Geiger und Graetz und Lazarus und viele andere liberale Juden im 19. Jahrhundert vorhergesagt hatten. Wir sind aufgeklärt, wir haben zivilen Umgang mit unseren deutschen Nachbarn, Herr Schindler äußert sich sogar abfällig über tschechische Politiker in unserer Gegenwart, wir sind weltliche Gelehrte und zugleich feinsinnige Talmudschüler. Wir gehören sowohl ins 2.0. Jahrhundert als auch zu einer uralten Rasse. Wir kränken niemand, und niemand kränkt uns.
    Mitte der 3oer Jahre änderte der Rabbiner dann diese Ansicht notgedrungen; er begriff, daß seine Söhne sich bei den Nationalsozialisten niemals mit einem Dr. phil in Germanistik würden einkaufen können, daß eine wissenschaftliche Laufbahn ihnen ebensowenig Schutz gewähren würde, wie er als Rabbiner sich mit den Herrschenden im Neuen Deutschland würde arrangieren können. Deshalb emigrierten Kantors 1936 nach Belgien. Schindlers hörten nichts mehr von ihnen.
    Rasse, Blut und Boden sagten dem heranwachsenden Oskar nichts. Er gehörte zu den Knaben, für die ein Motorrad den Mittelpunkt der Welt darstellt. Und der Vater, selber technisch begabt, scheint ihn darin bestärkt zu haben. Jedenfalls knatterte Oskar schon in seinem letzten Schuljahr auf einer roten 500er Galloni durch Zwittau, voller Neid von seinem Schulfreund Erwin Tragatsch bewundert. Es war nicht nur die einzige Galloni in Zwittau, nicht nur die einzige 500er Galloni in Mähren, sondern vermutlich auch in der gesamten Tschechoslowakei.
    Im Frühjahr 1928, vor dem Sommer, in dem er sich verliebte und heiratete, erschien Schindler auf einer 250er Moto Guzzi, von denen es außerhalb Italiens nur vier weitere Exemplare gab, die allesamt professionellen Rennfahrern gehörten Gießler, Hans Winkler, dem Ungarn Joo und dem Polen Kolaczkowski. In der Stadt meinte man vermutlich, Herr Schindler verwöhne seinen Jungen.
    Jener Sommer wurde dann der schönste, an den Schindler sich erinnerte. Die enganliegende Lederkappe auf dem Kopf, brauste er auf seiner Moto Guzzi durch die heimatlichen Berge, ohne den geringsten Gedanken an
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