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Schindlers Liste

Schindlers Liste

Titel: Schindlers Liste
Autoren: Thomas Keneally
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sagen, daß sie nicht hungerte. Tatsächlich war Hunger ihre geringste Sorge. Sie wußte, daß sie lebend nicht aus diesem Haus kommen würde, aber nicht etwa, weil sie verhungern mußte.
    »Wenn Sie die nicht essen wollen, tauschen Sie was dagegen ein. Ich soll Sie von Itzhak Stern grüßen.«
    Sie senkte den Kopf und weinte verhalten. »Er schlägt mich oft, wenn diese Frauen hier sind.
    Das erste Mal schlug er mich, weil ich seinen Hunden nicht die Knochen gegeben hatte.
    Dumm wie ich damals war, fragte ich >Warum schlagen Sie mich?< Und er sagte, Jetzt schlage ich dich, weil du fragst, warum ich dich schlagen« Sie schüttelte über sich selber den Kopf. Sie durfte nicht so viel reden, und einen Eindruck von den Mißhandlungen, denen sie ausgesetzt war, konnte sie ohnehin nicht geben.
    »Es geht Ihnen hier ziemlich übel«, stellte Schindler fest.
    »Ich habe mich damit abgefunden.«
    » So ? «
    »Eines Tages wird er mich erschießen.«
    Schindler schüttelte verneinend den Kopf, und sie empfand das bei diesem wohlgenährten, gutgekleideten Mann als eine Provokation. »Ich weiß, was ich weiß, Herr Direktor. Vor ein paar Tagen war ich mit Lisiek auf dem Balkon, Eis wegkratzen, und der Kommandant hat vor unsern Augen eine alte Frau erschossen, die gerade vorbeikam. Einfach so, ohne jeden Grund.
    Je mehr ich hier sehe, desto klarer wird mir, es gibt keine Regeln, die einen schützen, wenn man sie befolgt…«
    Schindler nahm ihre Hand. »Immer noch besser als Majdanek oder Auschwitz. Sie müssen nur gesund bleiben…«
    »Ich dachte, in seiner Küche würde mir das leichtfallen. Beneidet haben mich die anderen, als ich hierher durfte.«
    Schindler sprach nun ganz sachlich, so als teile er ihr eine mathematische Formel mit: »Er wird Sie nicht ermorden, Helena, weil er es viel zu sehr genießt, Sie um sich zu haben. Nicht mal den Judenstern brauchen Sie zu tragen. Keiner soll wissen, daß Sie Jüdin sind, so sehr liegt ihm daran, Sie zu behalten. Die Frau, die Sie erwähnten, hat er erschossen, weil sie ihm nichts bedeutete. Mit Ihnen ist es was anderes. Schön ist das nicht, Helena, aber so ist nun mal das Leben hier.«
    Leo John, der Schutzhaftlagerführer, hatte ihr bereits etwas ganz Ähnliches gesagt. »Er bringt dich nicht um, Lena, dazu hat er viel zuviel Spaß an dir.« Aber Schindlers Worte beeindruckten sie mehr.
    Schindler redete ihr gut zu. Er werde sie wiedersehen, sie hier herausholen. Hier heraus? fragte sie. Aus der Villa. In seine Fabrik. Sie habe doch wohl von seiner Fabrik gehört?
    »Ah ja.« Sie klang wie ein Slumkind, das von der Riviera träumt. »Schindlers Emalia. Davon habe ich gehört.«
    »Bleiben Sie vor allem gesund«, wiederholte er. Das schien ein Schlüsselwort, es ließ ahnen, daß er Kenntnis von den Absichten hochgestellter Personen hatte - Himmler, Frank.
    »Ich will’s versuchen.«
    Plötzlich wandte sie ihm den Rücken und zerrte den Geschirrschrank von der Wand, eine erstaunliche Kraftleistung, die Schindler verblüffte. Hinter einem losen Backstein holte sie einen Packen Banknoten hervor. Besatzungsgeld.
    »Ich habe eine jüngere Schwester in der Lagerküche. Bitte kaufen Sie sie frei, falls sie je in die Waggons verladen wird.«’
    »Ich kümmere mich darum«, sagte Schindler leichthin und steckte das Geld achtlos ein.
    »Wieviel ist das?«
    »Viertausend Zloty.«
    Bei ihm war es immer noch besser aufgehoben als in Göths Küche.
    So haben wir uns denn an die Geschichte von Oskar Schindler gewagt, und ein Wagnis ist es unheimliche Nazis tauchen auf, ein Gelage findet statt, ein zartes, mißhandeltes Mädchen erscheint und überdies eine Figur, beliebt wie die Hure mit dem goldenen Herzen: der gute Deutsche.
    Schindler hat es sich angelegen sein lassen, das wahre Gesicht des Regimes zu erkennen, die Fratze hinter der bürokratischen Korrektheit, und er weiß, früher als andere es sich eingestehen wollen, was Sonderbehandlung bedeutet, nämlich Pyramiden von Leichen in Belzec, Sobibor, Treblinka und in jenem westlich von Krakau gelegenen Barackenkomplex, der seither unter seinem deutschen Namen bekannt geworden ist: Auschwitz-Birkenau.
    Er ist aber auch Geschäftsmann, aus Talent und Neigung, er spuckt dem Regime nicht offen ins Gesicht. Er weiß, die Leichen werden sich in diesem und im nächsten Jahr zu Bergen türmen, höher als das Matterhorn, doch ist er schon dabei, eine Winzigkeit abzutragen. Er kann nicht vorhersagen, welche Maßnahmen die Bürokratie treffen
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