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Schilf im Sommerwind

Schilf im Sommerwind

Titel: Schilf im Sommerwind
Autoren: Luanne Rice
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einer guten Leistung im Wettbewerb wollte er vor allem Dana imponieren. Er spähte zum Crashboot hinüber und sah, wie sie zu ihm herüberblickte und winkte. Er erschauerte, als er merkte, dass sie nach ihm Ausschau hielt. Nach der Regatta waren die Sommerferien für sie vorüber, und sie würde an die Kunstakademie in Providence zurückkehren. Wenigstens würden Lily und sie beisammen sein. Sams Bruder war in weiter Ferne, auf großer Fahrt, wie es sich für einen angehenden Ozeanographen gehörte.
    »He Sam!«, schrie Jack. »Augen auf die Flotte, wenn ich bitten darf!«
    »Alles klar, Skipper.«
    Das Kielschwert summte, als das Boot Fahrt gewann. Sam spürte die Vibrationen in seinen Beinen und in der Wirbelsäule. Lily blies abermals das Horn, um anzuzeigen, dass nur noch dreißig Sekunden bis zum Start blieben, und Sam drückte auf die Stoppuhr. Die Boote begannen, sich dichter an die Startlinie zu manövrieren. Fiebrige Unruhe machte sich breit. Dana wich mit den Boston Whaler zur Seite aus, gab den Weg frei. Sie deutete in die Richtung, die Sams Boot nehmen sollte, wies ihn stumm auf eine Taktik hin, und Sam gab das Signal an Jack weiter.
    »Dort entlang!«
    »Wir rammen die anderen«, entgegnete Jack und starrte auf die eng beieinander liegenden Boote.
    »Nein, wir haben genug Platz«, sagte Sam, Windrichtung, Strömung und Geschwindigkeit einkalkulierend. »Wir werden als Erste die Startlinie überqueren.«
    »Also gut, Steuerbord!«, schrie Jack und glitt vor Hunters Bug vorbei.
    »Arschloch!«, kreischte Hunter, als ihm der Wind aus den Segeln genommen wurde.
    »Das ist für den Fischhändler«, brüllte Sam, Hunter mit Blicken durchbohrend.
    »Du kleiner Scheißer.« Hunter warf das Ruder herum, wobei die Segel laut knatterten und röhrten, bevor sie vom Wind erfasst wurden.
    »Noch zehn Sekunden«, rief Sam Jack zu, als sie auf perfektem Kurs zum Start fuhren. »Neun, acht …«
    »Achtung!«, sagte Jack. Da er sich ausschließlich darauf konzentriert hatte, vor Hunter zu bleiben, hatte er den Wind falsch eingeschätzt. Sam besaß den Instinkt eines Meeresforschers, wenn es um Wetterverhältnisse ging, und wusste, dass Jack einen Fehler machte. Aber Jack war der Skipper, dessen Wort oberstes Gebot an Bord ist, und Sam musste sich fügen. Er packte die Fockschot und zerrte sie aus der Belegklampe. Dabei ließ er die Stoppuhr fallen, und damit gewann seine ureigene Unbeholfenheit die Oberhand. Er bekam die Schot nicht richtig zu fassen. Der Wind riss ihm das Ende aus der Hand, und er streckte mit einem Ruck den Arm vor, um es zu ergreifen. Wie die verlorene Schnur eines Drachens oder ein Ballon, der davonzufliegen droht, befand sich die Nylonleine knapp außerhalb seiner Reichweite.
    »O Gott, nein!« Nur noch zwei Sekunden bis zum Start, Hunter zischte an ihnen vorbei, und Dana sah zu. Ohne nachzudenken, machte Sam einen Satz nach vorn, um die weiße Leine zu packen.
    »Was zum Teufel …«, brüllte Jack. Zwei, eins: Lily gab das Startsignal.
    »Sam, hinsetzen!«, schrie Dana. Es war das Letzte, was Sam Trevor hörte, als der Großbaum mit der Wucht eines Güterzugs quer schlug, ihn am Schädel traf und über Bord katapultierte.
     
    »Dana, er blutet!«, rief Lily, als sie Volldampf voraus durch die Wellen pflügten.
    »Behalte ihn im Auge!«, schrie Dana, als der leblose Körper ihrem Blick entschwand. In dem Bemühen, seinen Mut zu beweisen, hatte Sam den Vorschriften getrotzt und keine Schwimmweste angelegt. Seine Jeans waren dunkelblau, von der gleichen Farbe wie das Wasser, und sein Anorak hatte eine verwaschene grün-graue Schattierung.
    »Beeil dich!«, schrie Lily.
    Es waren nur wenige Sekunden vergangen, doch schon war er unter der aufgewühlten Oberfläche verschwunden. Eine Hand am Steuerrad, streifte Dana in fliegender Hast die Schuhe herunter, die sie auf dem Boot zu tragen pflegte. Sie öffnete den Reißverschluss ihres Anoraks und merkte, dass Lily das Gleiche tat. Sie hatten alles, was sie über die Verhaltensmaßregeln auf dem Meer wussten, gemeinsam gelernt. Sie hatten vor langer Zeit am Strand von Hubbard’s Point ihren Rettungsschwimmer gemacht und sich im Wechsel als Versuchskaninchen zur Verfügung gestellt, um die Notfallmaßnahmen zu üben.
    Die Finger der Schwestern berührten sich kurz, eine Geste, mit der sie sich gegenseitig Glück und Kraft wünschten. Ihre Blicke trafen sich nur eine Sekunde, dann tauchten sie mit einem Kopfsprung in die Fluten. Das Wasser schlug über
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