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Schilf im Sommerwind

Schilf im Sommerwind

Titel: Schilf im Sommerwind
Autoren: Luanne Rice
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Gedanken erraten.
    »In Gay Head, oder Aquinnah, wie es inzwischen heißt«, hatte Lilys Mann zu ihr gesagt, als ob Sam Luft wäre.
    Lily hatte ihrem Mann die Hand gedrückt, aber Sam angelächelt. »Damit hat es angefangen. Ich meine, Danas Suche nach der perfekten Meereslandschaft. Ich weiß, eines Tages wird sie genug gesehen haben, berühmt sein und nach Hause zurückkehren.«
    Sam hatte auf Anhieb die Traurigkeit in Lilys Augen erkannt. Er hatte gewusst, was sie empfand; sein Bruder Joe war wie Dana – ein Ozeanograph, der aus gesunkenen Schiffen verborgene Schätze barg und ständig in der Weltgeschichte umherreiste. Sam vermisste ihn unsäglich, und Lily schien es mit Dana nicht anders zu ergehen.
    »Dass sie wiederkommt, ist für mich so sicher wie das Amen in der Kirche«, hatte Sam gesagt, um Lily aufzumuntern. »Ich mag damals noch sehr jung gewesen sein, aber ich habe gespürt, wie nahe ihr euch standet. Sie bringt es bestimmt nicht übers Herz, dich zu lange alleine zu lassen.«
    »Dein Wort in Gottes Ohr«, hatte Lily lachend erwidert. »Sie hat zwei Nichten, die sie beinahe genauso vermissen wie ich. Wir besuchen sie zwar jeden Sommer, aber vornehmlich kennen sie ihre Tante durch ihre Postkarten.«
    »Davon kann ich ein Lied singen.« Sam hatte eine Postkarte aus Griechenland von Joe und seiner Frau Caroline in der Tasche.
    »Sind Sie ein alter Freund von Lily und Dana?«, hatte sich Lilys Mann erkundigt.
    »Oh, Mark!« Lily hatte seine Hand genommen. »Entschuldigung, aber ich habe euch noch gar nicht vorgestellt. Es ist nur … Sam wiederzusehen hat mich in alte Zeiten zurückversetzt. Wenn es einen Menschen auf der Welt gibt, der nachempfinden kann, wie sehr ich Dana vermisse, ist es Sam. Zwischen den beiden bestand eine ganz besondere Beziehung in jenem Sommer, beim Segelunterricht in Newport, stimmt’s, Sam?«
    Sich des wachsenden Interesses von Claudia bewusst, hatte Sam genickt. Dann hatte Lily in ihrer Handtasche gekramt, einen Umschlag herausgeholt und Sam ein Foto gereicht.
    Es war ein Bild von Dana gewesen. Claudia hatte sich vorgebeugt, um einen Blick darauf zu werfen, und Sam hatte an ihr vorbei nach dem Bild gegriffen.
    Sie war schön, noch schöner als in seiner Erinnerung. Ihre Augen hatten die Farbe des Himmels. Sie war gertenschlank, trug Chino-Hosen mit Farbklecksen und eine Hemdbluse aus Leinen. Er sah die Farbe rund um ihre Fingernägel, aber keine Ringe an den Händen.
    »Ist sie verheiratet? Hat sie Kinder?«
    »Um Gottes willen, nein! Dana und ich haben Sam das Segeln beigebracht«, hatte Lily zu Claudia gesagt, mit einem entschuldigenden Beiklang.
    »Wenn die beiden nicht gewesen wären, stünde ich heute nicht hier.«
    »Das Underhill-Gespann.« Mark hatte lächelnd den Arm um seine Frau gelegt.
    »Ein kleiner Unfall, Mann über Bord«, hatte Lily erklärt und sich an Mark geschmiegt. »Das kann jedem passieren.«
    »Jugendlichen das Segeln beizubringen und ihr Leben zu retten gehörte bei euch offenbar zum ganz normalen Ablauf eines Arbeitsalltags«, hatte Mark neckend gesagt.
    »Er ist ein
sehr guter
Segler.« Claudia hatte sich bemüßigt gefühlt, ihm beizuspringen. Sie hatten im Sommer gemeinsam an einer Regatta vor Block Island teilgenommen. Als Sam von dem Foto hochgeblickt hatte, um sie anzulächeln, war sie einen Schritt zurückgetreten. Claudia war Psychiaterin an der Uniklinik von Yale-New Haven; Sam hatte sich zu ihr hingezogen gefühlt, weil sie über eine ausgeprägte Beobachtungsgabe und einen messerscharfen Verstand verfügte. Er sah, dass sie nun von diesen Talenten Gebrauch machte und den räumlichen Abstand zum Foto und zu Lily suchte, in der Hoffnung, auf diese Weise mehr über Dana zu erfahren.
    »Wo ist sie nun?«, hatte Sam gefragt und das Foto mit seinen Blicken verschlungen.
    »Das da wurde in Frankreich aufgenommen.« Lily hatte schneller geredet, da die blinkenden Lichter im Haus signalisierten, dass die Pause zu Ende war, und die Besucher begannen, sich ins Theater zurückzubegeben.
    »Frankreich?«
    »Ja«, hatte Lily über die Schulter gesagt, während sie sich von ihrem Mann ins Foyer ziehen ließ. »Dort hat sie derzeit ihre Zelte aufgeschlagen, in Honfleur, an der Küste der Normandie. Die Landschaft erinnert sie an Black Hall, sagt sie … ich predige ihr dauernd, das sei ein Zeichen, dass sie endlich nach Hause zurückkehren soll.«
    Und nun war sie wieder zu Hause, dachte Sam, als er mit seinem VW -Bus auf die I-95 fuhr. Dana war zur
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