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Schilf im Sommerwind

Schilf im Sommerwind

Titel: Schilf im Sommerwind
Autoren: Luanne Rice
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ihren Köpfen zusammen. Danas Lungen waren prall gefüllt mit Luft, und sie sah Blasen aus dem Mund ihrer Schwester entweichen. Sie hatten beide das Gefühl, als gehöre das Meer ihnen. Es war ihre Domäne, und sie schwammen direkt zu Sam hinüber, der langsam zum Meeresgrund hinabdriftete.
    Sie erreichten ihn gleichzeitig. Ein Blutschwall drang aus einer Schnittwunde hinter dem Ohr, färbte das brackige Wasser rötlich. Dana schlang einen Arm um seinen Brustkorb, Lily stützte ihn von der anderen Seite. Ihre Beine bewegten sich im Gleichtakt. Sie umklammerten den Jungen rechts und links, waren in ihrem Element, brachten ihn behutsam an die Oberfläche.
    Ihre Köpfe hüpften an der Oberfläche auf und ab, gemeinsam hielten sie Sam über Wasser. Sie wiegten ihn in ihren Armen wie ein Kind und blickten auf sein Gesicht hinunter. Dana spürte die Kraft des Meeres. Beim Wassertreten streiften ihre Zehen Lilys. Die Beine der beiden Mädchen bewegten sich wie die Schwanzflossen von Fischen, so leicht trieben sie im Wasser. Dana beugte sich über Sam und begann mit der Mund-zu-Mund-Beatmung.
    Plötzlich hustete Sam und spuckte Wasser aus.
    »Er kommt zu sich«, sagte Lily.
    »Was ist passiert?«, fragte er würgend. Obwohl er kämpfte, um sich aus ihrem Griff zu befreien, hielten sie ihn eisern fest.
    »Zuerst bringen wir dich ins Boot, dann erzählen wir dir alles«, sagte Dana.
    Sie schwammen gemeinsam zum Boot, Gesicht an Gesicht, und er schaute Dana mit weit aufgerissenen Augen an. Seine Brille war längst weg, und es dauerte einen Moment, bevor er sie einigermaßen klar erkennen konnte. »Du bist es …«
    Lily lachte. »Dachtest du, es wäre eine Meerjungfrau?«
    »Sie hat dir das Leben gerettet, das ist alles«, rief Jack Devlin von oben.
    »Wirklich?« Sam blickte Dana mit unverkennbarer Freude an, während Blutstropfen an der einen Seite seines Gesichts herunterliefen wie in einem Horrorfilm.
    Dana lächelte nur, stützte ihn im Wasser.
    »Das werde ich dir nie vergessen, Dana«, sagte er, ihre Hand umklammernd.
    »Lily auch«, rief Jack. »Sie haben dich beide gerettet.«
    »Ich meine es ernst.« Er wischte sich das Blut aus den Augen. »Niemals. Solange ich lebe. Ihr beiden müsst euch keine Sorgen mehr machen – ich werde euch beschützen bis zum letzten Atemzug.«
    Dana und Lily lächelten. Der Wind hatte sich inzwischen gelegt, und die Sonne brach hinter einer dunklen Wolke hervor, breitete ein seltsam karamellfarbenes Licht über Newport Harbor aus. Die Türme von St. Mary’s und der Trinity-Kirche leuchteten auf dem Hügel, und die Rümpfe von mehreren hundert Booten schimmerten an ihrem Ankerplatz. Danas und Sams Blicke trafen sich, ließen sich nicht mehr los.
    »Das ist kein Scherz!«, sagte er.
    »Jetzt komm schon, ab mit dir ins Boot«, meinte Lily, bemüht, nicht zu lachen.
    »Nur weil ich jung bin, heißt das noch lange nicht, dass ich euch nicht beschützen kann. Wartet ab, ihr werdet es schon sehen.«
    »Du bist mein Held, mein Ritter in schimmernder Rüstung.« Danas Lächeln wurde breiter. »Und sollte ich jemals Hilfe brauchen, weiß ich, an wen ich mich wenden kann. Aber jetzt hör auf Lily; wir müssen dich ins Boot bringen. Du kannst uns ein anderes Mal retten. Einverstanden?«
    »Einverstanden.« Sam ließ sich aus dem Wasser heben, und er hörte sich an, als habe er soeben vor aller Welt einen Schwur geleistet.

[home]
    1
    Einundzwanzig Jahre später
    S ie waren Schwestern, genau wie ihre Mutter und ihre Tante. Quinn und Allie Grayson saßen auf der Mauer neben der Straße und warteten darauf, dass Tante Dana eintraf, die vom Flughafen kam. Sie lebte in Frankreich. Sie war Malerin und unterschied sich von allen anderen Menschen, die sie kannten. Jedes Mal, wenn ein Wagen in die Sackgasse einbog, verrenkten sie sich den Hals, und Quinn verspürte ein Kribbeln im Bauch. Sie fragte sich, ob Allie das Gleiche empfand, aber sie wollte nicht fragen.
    »Das ist sie nicht«, sagte Allie, als die Tilsons, die neuen Nachbarn, zum dritten Mal innerhalb einer Stunde mit ihrem grünen Kombi vorbeifuhren.
    »Drei Mal. Dauernd dieses Hin und Her. Was machen die bloß?«
    »Wahrscheinlich kaufen sie sämtliche Grünpflanzen im Gartencenter auf. Ihr Garten ist der reinste Showroom.«
    Quinn sah sie zweifelnd an. ›Showroom‹. Typisch Allie, einen solchen Ausdruck zu gebrauchen. Sie hatte ihn aufgeschnappt, weil sie ständig mit ihrer Großmutter beisammen hockte, die sich im Haus aufhielt und viel zu
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