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Schilf im Sommerwind

Schilf im Sommerwind

Titel: Schilf im Sommerwind
Autoren: Luanne Rice
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mitkommen, und gemeinsam würden sie davonsegeln. Dana brannte darauf, jemandem ihr Herz auszuschütten. Sie hatte Lust auf eine reine Frauenrunde: eine gute Gelegenheit, über Jon vom Leder zu ziehen und Monique niederzumachen. Eine sanfte Brise, ein Boot und ihre Schwester, das war genau das, was sie brauchte.
    Stattdessen verließ sie die Galerie, ging die Treppe hinunter, an der Spindelhecke vorbei. Während sie in tiefen Zügen die klare Sommerluft einatmete, wurde ihre Aufmerksamkeit auf einen blauen VW -Bus gelenkt. Der Fahrer stieg aus, und Dana verhielt den Schritt, dann blieb sie abrupt stehen. Er war groß und sah muskulös aus. Sie war gebannt vom Anblick eines Mannes, der so athletisch wirkte und einen Strauß zarter Gänseblümchen ordnete, den er mitgebracht hatte. Ihr Herz drohte auszusetzen, als er den Blick hob und sie ansah. Er war ziemlich jung, bestimmt nicht älter als dreißig. Plötzlich stieß Augusta Renwick einen Ruf des Entzückens aus, und der junge Mann wandte sich ihr zu. Dana besann sich, weshalb sie die Galerie verlassen hatte.
    Sie eilte den mit Basaltplatten belegten Weg entlang, weg von der Menschenansammlung, und begab sich auf die Suche nach ihren Nichten.
     
    »Sie sagt, du hättest nicht einmal zwei Worte mit ihr gewechselt«, wiederholte Allie flehentlich.
    »Das lässt sich ändern. Ich hätte zwei für sie: Fick dich.«
    »Du bist ordinär und gemein.«
    »Such dir eines von beiden aus. Ordinär oder gemein. Immer musst du alles dramatisieren.«
    »Ich brauche keine Klobürste auf dem Kopf, um aufzufallen.«
    »Richtig, du fällst schon dadurch auf, dass du Stroh im Kopf hast, dumme Nuss.«
    Allies Augen füllten sich mit Tränen, quollen unter ihren Lidern hervor, kullerten über ihre rosigen Wangen. Quinn strengte sich an, nicht hinzuschauen, aber es fiel ihr schwer. Sie hatten die Galerie durch die Vordertür verlassen und sich durch die Hintertür wieder hineingeschlichen, und nun hockten sie unter dem kalten Büfett, den Blicken der Anwesenden durch eine bodenlange Tischdecke entzogen. Da sie ihrer Schwester genau gegenübersaß, konnte sie nur schwer so tun, als bemerke sie nicht, dass ihre Schwester weinte.
    »Hör auf.«
    »Womit?«, fragte Allie schniefend. Sie wusste, dass Quinn es hasste, wenn sie weinte, und deshalb bemühte sie sich, ihre Tränen zu unterdrücken.
    Um das Thema zu wechseln, zog Quinn den Zigarettenstummel hinter ihrem Ohr hervor. Sie hatte ihn auf den Stufen der Galerie gefunden, nicht einmal zur Hälfte geraucht. Die Streichhölzer vom Schreibtisch des Galeriebesitzers mitgehen zu lassen war ein Kinderspiel gewesen. Nun zündete sie ein Streichholz an, hielt es an die Kippe und nahm einen Zug.
    »Lass das lieber«, sagte Allie beschwörend.
    »Warum?« Quinn stieß eine Rauchwolke aus. Qualm füllte den Verschlag, quoll unter dem Saum der Tischdecke hervor.
    »Davon kann man sterben. Rauchen ist tödlich – hörst du in der Schule nicht zu?«
    »Na und? Wir müssen alle mal sterben. Wen interessiert das schon!«
    »Mich.« Nun konnte sich Allie nicht länger beherrschen. Die Tränen flossen in Strömen. Für Quinn sahen sie durchsichtig und glibberig aus wie winzige Quallen, die über das Gesicht ihrer Schwester purzelten.
    »Allie«, sagte Quinn und hielt die Zigarette in ihrer gewölbten Hand, so wie sie es in Filmen gesehen hatte. »Du weißt, warum sie hier ist.«
    »Wegen der Ausstellung.«
    »Quatsch. Das ist nicht der eigentliche Grund.«
    »Sie sagt, Meer sei Meer, und Salzwasser gleich Salzwasser …«, schluchzte Allie.
    »Aber die Häuser sind anders, die Menschen sind anders. Wir würden Französisch lernen müssen, Al. Und abgesehen davon hasse ich sie.«
    »Wie kannst du sie hassen? Sie ist Mommys Schwester.«
    »Eben deshalb«, flüsterte Quinn und starrte auf das glühende Ende der Zigarette, als wäre es das Licht eines Leuchtturms. »Genau das ist der Grund.«
    Plötzlich verspürte Quinn eine unerträgliche Platzangst; sie drückte die Glut aus und klemmte den Rest der Kippe hinter ihr Ohr. Dann schlug sie die Tischdecke zurück und kroch auf allen vieren durch einen Wald von Beinen, gefolgt von Allie. Die Leute lachten oder hielten erschrocken die Luft an, aber das kümmerte Quinn nicht. Sie wollte nichts wie weg.
     
    Black Hall war noch genauso, wie Dana es in Erinnerung hatte, friedvoll, elegant und durchdrungen von einem klaren, goldfarbenen Licht: es wurde von den Salzmarschen und Rinnsalen reflektiert, die sich
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