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Schilf im Sommerwind

Schilf im Sommerwind

Titel: Schilf im Sommerwind
Autoren: Luanne Rice
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Wanderstiefeln an den Füßen und einer schweren Eisenkette um den Hals betont. Ihre in alle Himmelsrichtungen abstehenden Rastazöpfe erinnerten an eine Drahtbürste oder eine der Illustrationen des Kinderbuchautoren Dr. Seuss.
    »Wie schreibt man ›psychisch‹?«, fragte Allie.
    »P-s-y-c-h-i-s-c-h. Warum?«
    »Weil Quinn mit ihrer komischen Frisur aussieht, als sei sie psychisch gestört.«
    »Würdest du sie fragen, ob sie nicht Lust hat, mir Gesellschaft zu leisten? Ich bin die weite Strecke von Frankreich hergeflogen, um euch zu sehen, aber sie hat noch keine zwei Worte mit mir gewechselt.«
    »Du bist wegen der Ausstellung hier«, berichtigte Allie ihre Tante.
    »Das ist nicht der Hauptgrund, und du weißt –«
    Plötzlich zog Allie ihre Hand weg und eilte zu ihrer Schwester hinüber. Dana sah, wie Quinn zuhörte, dann marschierte sie schnurstracks durch die offene Tür nach draußen, gefolgt von Allie. Als sie den beiden nachging, ihre Mutter auf den Fersen, waren beide Schwestern verschwunden.
    Dana bemühte sich, gleichmäßig ein- und auszuatmen. Die Zeitverschiebung setzte ihr zu. Erst gestern hatte sie auf dem Hügel gestanden und auf den Ärmelkanal geblickt, an der gleichen Stelle, wo Eugène Boudin mit Claude Monet gemalt und im Zuge dieses Prozesses den Impressionismus entwickelt hatte. Sie hatte ihre Koffer gepackt und war durch das Atelier gewandert, das sie mit Jonathan geteilt hatte. Jetzt war sie in Black Hall, umgeben von Freunden und Nachbarn, die ihre Werke betrachteten. Hoffentlich würde niemandem auffallen, dass sie selbst kaum in der Lage war, einen Blick darauf zu werfen.
    »Und, was hast du für Pläne? Oder willst du nicht darüber sprechen?«, fragte ihre Mutter nun, da sie alleine waren.
    »Du kennst sie, Mom. Ich habe vor, eine Woche zu bleiben, dann fliege ich nach Frankreich zurück.«
    »Dana.« Ihre Mutter legte die Hand auf ihren Arm. »Ich habe es dir schon am Telefon gesagt und wiederhole es noch einmal. Ich möchte nicht, dass du uns wieder verlässt. Du gehörst hierher. Schau dich doch um – spürst du nicht die Unterstützung? Du kannst mir nicht erzählen, dass man dir in Honfleur die gleiche Zuwendung zuteil werden lässt, so malerisch der Ort auch sein mag. Und du weißt, dass du sie brauchen wirst.«
    »Mom, hör auf. Wo stecken die Mädchen?«
    »Streunen herum, wie immer. Allie ist ein Schatz, aber Quinn hat keinen guten Einfluss auf sie. Letzten Sonntag habe ich das Gör beim Rauchen erwischt. Zwölf Jahre alt und pafft schon!«
    »Ich werde mit ihr reden.«
    »Wozu? Dabei kommt mit Sicherheit nichts heraus. Was bringt dich auf die Idee, dass sie auf dich hören würde? Man kommt schon seit Monaten nicht mehr an sie heran, egal, wer ihr was sagt.«
    »Ich schon. Wir haben eine ganz besondere Beziehung zueinander.«
    Ihre Mutter schnaubte. »So besonders, dass nicht einmal sie dich hier hält.«
    »Mom …«
    Das Gesicht ihrer Mutter sah alt aus. Es war müde und verrunzelt, und hinter ihren einst so sanften blauen Augen machte sich eine ungewohnte Härte bemerkbar. Als Dana ihre Hand nahm, fühlte sie sich kühl, trocken und schlaff an, und der Druck wurde nicht erwidert. Das Band, das zwischen Mutter und Tochter bestanden hatte, schien zerrissen zu sein.
    Als Martha Underhill ihre Hand aus der ihrer Tochter löste, um in die Galerie zurückzukehren und sich wieder unter die Schar der Besucher zu mischen, schloss Dana die Augen. Sie dachte an ihr kleines Cottage am Ärmelkanal, an die weiß getünchten Steinmauern. Was bedeutete es ihr letzten Endes? Es war nicht mehr als eine Immobilie, ein Anwesen mit einem Panorama vor dem Fenster, das zu malen sich lohnte. Jonathan und sie hatten sich dort zu lieben versucht, mehr oder weniger ungeschickt. Ihre Assistentin Monique hatte das Haus makellos sauber gehalten. Als sie sich daran erinnerte, schauderte sie.
    Sie dachte an die Segelschiffe, die im Hafen von Deauville auf den Wellen schaukelten; um ihr Einkommen aus den nicht häufig genug verkauften Bildern aufzubessern, erteilte sie dort hin und wieder Segelunterricht. Dann dachte sie an Lily.
    Sie sehnte sich nach ihrer Schwester.
    Wenn sie die Wahl gehabt hätte, hätte sie sich gewünscht, ihre Schwester würde über die Türschwelle treten, mehr als jeder andere Mensch auf der Welt. Sie würden die Party sofort verlassen. Sie würde ihre Schwester an der Hand nehmen, zum Wasser hinunterlaufen und ein Boot suchen, das zu mieten wäre. Lilys Töchter konnten
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