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Schicksal des Blutes

Schicksal des Blutes

Titel: Schicksal des Blutes
Autoren: Stephanie Madea
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Andererseits war sie froh, dass Ny’lane ihr das Wissen um die Vampire, Schattenwandler und Gargoyles nicht genommen hatte. Sie fragte sich immer noch, weshalb. An gegenseitigem Vertrauen konnte es weiß Gott nicht gelegen haben. Sie war noch nie einem Mann begegnet, der so wenig von sich preisgab wie Nyl. Ny’lane Bavarro. Allein der Name hörte sich schon angeberisch an. Wie hatte Cira ihn beschrieben? Zeitlose Eleganz. Hm, vielleicht gestand sie es ihm für einen Augenblick zu. Aber nur diesen einen. Als sie seinem ungehobelten Überfall letztendlich nachgab, weil bereits alle Gäste von Josephines und Alexanders Hochzeitsparty sie angestarrt hatten. Sie glitten nur für ein halbes Lied über die Tanzfläche, doch irgendwie … zeitlos. Sie hatte zweifellos aufgehört zu atmen, während er sie wie ein anmutiger Profitänzer galant über das Parkett schweben ließ. Eleganz. Sein imposanter Körper, der sonst stets angespannt und in Alarmbereitschaft zu sein schien, bewegte sich in diesen Sekunden vornehm, geschickt und feinfühlig mit ihr über die Fläche wie ein Engel mit seinem Schutzbefohlenen. Seine Hand schmiegte sich sanft und bestimmt an ihren Rücken, ihre Hüfte, ihre Schulter, stützte sie bei jeder Drehung, brachte ein ungeahntes, erotisches Prickeln zum Glühen, schwang sie gekonnt. Sie meinte, einem Traum erlegen sein zu müssen.
    Eine erneute Ladung Wasser holte Amy ins Badezimmer zurück. Sie zog ein Handtuch aus dem Regal und trocknete sich ab. Dieser breitschultrige Krieger in Lederkleidung, mit der lächerlichen Sonnenbrille und einem Wortschatz eines unter Pennern aufgewachsenen Kleinkindes, hatte ihr das sicherlich ins Gehirn gepflanzt.
    Entsetzen packte sie eiskalt im Nacken, als sie das Frotteehandtuch sinken ließ. Ihre großen, dunklen Augen lagen tief in den Höhlen. Ihre ansonsten stets gebräunte Gesichtsfarbe war fahl und schien durchsichtig, zeigte feinste Äderchen. Blass wie tot. Amy schluckte schwer. Sie legte zwar viel Wert auf ihr Äußeres, pflegte, cremte, zupfte, was möglich war, aber der Schock ging tiefer. Viel tiefer. Wann um Himmels willen hatte sie sich in eine todkranke Frau verwandelt? Das Handtuch fiel auf die Fliesen. Amy tastete nach ihrem Bauch, der eingefallen ihre Hüftknochen freilegte. Die schmerzenden Rippen konnte sie einzeln zählen. Zum Glück arbeitete ihr Kopf nach zwei Kopfschmerztabletten einigermaßen normal, wenn auch zu langsam. Zurück zur Ausgangsfrage. Was war das Letzte, an das sie sich erinnern konnte?
    Fires aufgebrachtes Gebell hatte sie geweckt. Genau. Wo war ihr Husky überhaupt? Bestimmt versorgte Cira ihn. Also, sie hatte sich den Wecker am Abend zuvor gestellt, wollte … Amy wandte sich um. Der schwarze Hosenanzug hing gebügelt unter einer Schutzfolie an dem Haken eines Kleiderbutlers. Brandons 50. Geburtstag. Sie hatte wahrhaftig vorgehabt, hinzugehen. Welch sentimentaler Schwachsinn hatte sie bloß geritten? Egal, dies war ihr letzter Tag, zumindest in ihrer Erinnerung. Der 20. April.
    Rasch zog Amy die Schublade auf, in der sie ihren Alltagsschmuck aufbewahrte, und riss eine goldene Uhr förmlich vor ihre Augen. Sie taumelte gegen die Wand und rutschte auf den Badewannenrand. Sie hatte zwölf Tage verloren! Heute war der 1. Mai. Heilige Scheiße!
    Amy stand mit Gummibeinen auf, verließ das Badezimmer und ging zum Schlafzimmerfenster. Sie betätigte zwei Knöpfe auf einer Fernbedienung. Die schweren Vorhänge schoben sich beiseite und die Jalousie glitt nach oben. Der Morgen schenkte ihr ein dämmriges Licht, doch was sie noch sah, raubte ihr abermals beinahe den Verstand. Dichte Rauchschwaden stiegen in einiger Entfernung zum Himmel empor und verdunkelten ihn. Die breite Hauptstraße, die an ihrem Gebäudekomplex vorbeiführte, schien wie mit einem Reißverschluss aufgezogen worden zu sein, bis er klemmte und explodiert war. Entwurzelte Bäume lagen quer über dem Bürgersteig. Schutthaufen und Trümmerteile sammelten sich an Hauswänden, ein Fahrrad hing an einem Balkongitter des gegenüberliegenden Hauses, ein Briefkasten thronte auf dem Dach eines in einem Schaufenster geparkten Lkws. Hatte sie einen Wirbelsturm verschlafen, ein Erdbeben wie das von 1906?
    Amy öffnete das Fenster. Böiger Wind trug entferntes Sirenengeheul und Feuergeruch herauf. Ganz San Francisco schien schwer in Mitleidenschaft gezogen.
    Eine Hand legte sich auf Amys Schulter, obwohl sie niemanden das Zimmer hatte betreten hören. „Du siehst, es ist
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