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Scherbenparadies

Scherbenparadies

Titel: Scherbenparadies
Autoren: Inge Loehnig
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»Probier mal, ob du den verträgst.«
    Der Geruch war köstlich. Sandra trank den Becher leer und biss mit Heißhunger in den Schokoriegel. Ehe sie sich versah, hatte sie ihn vertilgt. Wortlos holte Monika Brettschneider einen weiteren aus dem Sekretariat. Sie zog die Stirn in Falten, als sie ihn Sandra gab. »Jetzt geht es besser, gell, und in Zukunft wird gefrühstückt.«
    Als Sandra mit dem zweiten Schokoriegel in der Tasche ins Klassenzimmer zurückkehrte, war die Deutschstunde schon beinahe vorbei.
    In der großen Pause fing Joswig sie ab. Sie folgte ihm ins Sprechzimmer, wo er Sandra einen Platz anbot, bevor auch er sich setzte.
    »Ich mache mir Sorgen um dich«, begann er das Gespräch ganz direkt und er sah tatsächlich besorgt aus. Eine nachdenkliche Falte über der Stirn, ein ratloser Zug um den Mund.
    »Weshalb? Meine Noten sind doch okay.«
    Das Braun seiner Augen wurde ein wenig dunkler. »Es dreht sich nicht immer alles um Leistung. Du hast dich verändert, wirkst irgendwie angespannt. Außerdem… also, ich will dir ja nicht zu nahe treten. Aber du hast sehr abgenommen…«
    »Na und! Das ist meine Sache!«
    »Sandra, du machst auf mich nicht den Eindruck eines Mädchens, das Modetrends hinterherläuft. Deshalb kann ich mir nicht vorstellen, dass du hungerst, um in Size Zero zu passen…«
    »Und wenn es so ist?« Unverwandt sah sie ihm in die Augen.
    »Dann habe ich mich wohl getäuscht.« Er zuckte mit den Schultern. Dabei fiel ihm eine Locke ins Gesicht, die er postwendend zurück hinters Ohr strich. »Wenn du Probleme hast… Es ist noch nicht so ewig lang her, dass ich siebzehn war. Erst neun Jahre. Ich weiß noch, wie man sich da fühlt. Damals sind mir Probleme oft unlösbar erschienen. Doch das ist nicht so.«
    Ach ja. Ist das nicht so? Und wie würden Sie mein Problem lösen? Griff zum Telefon. Anruf beim Jugendamt und alles ist paletti. Sandra zog die Unterlippe unter die Schneidezähne und ließ sie wieder vorschnalzen. »Ich habe aber keine Probleme. Mir geht’s prima.« Sie versuchte, seinem Blick standzuhalten. Er war fragend und forschend und ging ihr durch und durch, bis sie glaubte, dass er ihre Gedanken lesen könnte, und erschrocken zu Boden sah.
    »Gut, wenn das so ist… Am Mittwoch in der zweiten Stunde möchte ich deine Mutter sprechen. Sag ihr das.«
    Verdammter Mist. Was sollte das denn werden? Sie versuchte zu widersprechen, doch Joswig ließ Sandras Einwand nicht gelten, dass an ihren schulischen Leistungen nichts auszusetzen war. Er wollte Laura sehen.
    Wenn ihre Mutter tatsächlich bei Joswig erschien… allein bei dem Gedanken wurde es Sandra heiß und kalt. Sie stellte sich vor, wie Laura dieses Sprechzimmer betrat. Eine zerrupfte, ausgemergelte Gestalt, die schwankend Platz nahm, mit einem Kilo Schminke im Gesicht und Klamotten am Leib, die für Siebzehnjährige gemacht waren. Irgendwie musste sie verhindern, dass Joswig Laura zu Gesicht bekam. Allerdings würde Laura niemals freiwillig in der Schule aufkreuzen. Da musste Joswig schon die richtig schweren Geschütze auffahren. Das Thema konnte sie also in aller Ruhe auf sich zukommen lassen.
    Nur für einen Moment war sie erleichtert. Joswig würde nicht lockerlassen. Postwendend hatte sie das Gefühl, eine Bleiplatte lege sich auf ihre Brust. Sie atmete durch und richtete sich auf. »Gut. Ich sage es ihr.«
    Joswig stand auf. »Schön. Und wie gesagt… wenn du Hilfe brauchst… Ich bin dein Klassenlehrer und für dich da.«
    Er brachte sie zur Tür und hielt kurz inne, bevor er sie öffnete. »Da fällt mir ein, von dir fehlt noch das Geld für die Klassenfahrt. Die meisten haben es schon überwiesen. Das hat zwar noch drei Wochen Zeit, aber bis dahin sollte es da sein, damit Marlenes Mutter rechtzeitig buchen kann.«
    Sandra nickte. Die Pause neigte sich ihrem Ende zu, der Schulhof leerte sich, eine lärmende Menge zog durch die Flure. Bisher hatte sie sich hier aufgehoben und geborgen gefühlt, als Teil einer Gemeinschaft. Doch nun begann dieses Gefühl zu zerbröseln.
    Die Klassenfahrt. Laura musste das Geld dafür rausrücken. Doch in diesem Augenblick wurde Sandra klar, dass Laura genau das nicht tun würde. Auch wenn sie das Gegenteil beteuert hatte. Wenn sie mit nach Berlin wollte, musste sie das selbst bezahlen. Nur wie?
    Vor dem Klassenzimmer standen Alina und Janina in ein Gespräch vertieft, das stockte, als Sandra sich zu den beiden gesellte. Hatten die gerade über sie geredet?
    »Wie geht es dir
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