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Die Schockwelle: Thriller (German Edition)

Die Schockwelle: Thriller (German Edition)

Titel: Die Schockwelle: Thriller (German Edition)
Autoren: Ilkka Remes
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1
    Die Kugel traf Aleksej Tarasovs Brustkorb hart, und der Schmerz loderte bis in seine Arme, viel stärker, als er vermutet hatte. Der Schuss hallte noch in seinen Ohren nach, als er den Blick senkte und sah, wie sich sein Hemd rot färbte.
    Er brach auf dem nassen Asphalt des Bürgersteigs zusammen und konnte gerade noch sehen, wie sich die Menschen in seiner Nähe unsicher und verwirrt umdrehten, bevor er die Augen schloss. Der Wind wehte Rauchgeruch vom Swerdlowskaja-Park herüber.
    Jetzt kam jemand im Laufschritt auf ihn zu. Sein Puls beschleunigte sich sofort noch mehr.
    »Ein Krankenwagen! Ruft einen Krankenwagen!«, schrie eine Stimme.
    Die Schritte hielten unmittelbar neben ihm an, und Tarasov öffnete die Augen einen Spaltbreit, um sich zu vergewissern, dass es sich bei der Person, die sich nun über ihn beugte, um die Frau handelte, die ihm die Anweisungen gegeben hatte.
    »Hilfe ist unterwegs«, sagte die Frau atemlos, während sie ihm das Hemd aufriss. Gleich darauf spürte Tarasov, wie sie die Blutpatrone entfernte, die mit Klebeband an seiner Brust befestigt war. Er hielt die Augen geschlossen; die Frau versteckte die Patrone in ihrer Handtasche, vermutlich für den Fall, dass die Polizei vor dem Krankenwagen eintraf.
    Er hörte Schritte, Rufe, aufgeregte Wortwechsel. Neugierige und schockierte Menschen drängten sich dicht um ihn herum, und es kamen immer mehr hinzu. Trotzdem lag Tarasov regungslosda, exakt den Anweisungen entsprechend. Wo blieben sie? Vor fünfzig Minuten war er vom Hauptquartier des Auslandsnachrichtendienstes in der Jasnajewo aufgebrochen, mit einem der gewöhnlichen Kleinbusse, die für den Transport der Mitarbeiter eingesetzt wurden. In der Kuznetsky war er ausgestiegen und einkaufen gegangen. Die aufgeplatzte Plastiktüte aus dem Geschäft lag nun neben ihm auf dem Asphalt, der Inhalt war rundherum verstreut.
    »Machen Sie Platz, ich bin Arzt«, sagte eine Männerstimme in wenigen Metern Entfernung.
    Tarasovs Herz setzte einen Schlag aus.
    »Und ich bin Ärztin«, erwiderte die Frau neben ihm sehr selbstsicher. Allerdings klang dabei der Hauch eines englischen Akzentes durch, was jemandem eventuell auffallen konnte, dachte Tarasov verzweifelt. Er war schon immer Pessimist gewesen, und in dieser Situation schien ihm das auch die einzige realistische Haltung zu sein: Etwas würde mit Sicherheit schiefgehen, und das wäre sein Ende. Er versuchte, an seine Tochter zu denken und fest daran, warum er all das tat.
    Das Geräusch der Sirene wurde lauter, gleich würden sie hier sein, die Sanitäter oder die Miliz … Tarasov fühlte sich vollkommen hilflos, er konnte nichts mehr tun, seine Entscheidung hatte er vor Jahren getroffen, jetzt war der Moment der Wahrheit gekommen. Erst jetzt.
    »Wo ist die Wunde?«, fragte der Moskauer, der sich als Arzt vorgestellt hatte.
    Tarasov spürte, wie er den Atem anhielt.
    »Zwischen der dritten und der vierten Rippe«, antwortete die Frau vollkommen überzeugend und jetzt auch ohne Akzent. Die Sirene des Krankenwagens marterte die Gehörgänge immer heftiger.
    »Gehen Sie aus dem Weg!«, rief jemand. Das Heulen der Sirene brach in unmittelbarer Nähe ab, Türen wurden geöffnet, dann hörte man ein metallisches Gleitgeräusch.
    Hände, die in Einweghandschuhen steckten, packten Tarasov unter den Armen und hoben ihn auf eine Bahre, die sich sofort in Bewegung setzte. Man schob ihn in das Fahrzeug, in dem es nach Desinfektionsmittel roch. Ein Sanitäter sprang in den Wagen, dann wurden die Türen zugeschlagen, und das Stimmengewirr von der Straße war verstummt. Wenige Sekunden später fuhr der Krankenwagen los, und die Sirene fing wieder an zu heulen.
    Tarasov schlug die Augen auf und sah den Sanitäter die weiße Jacke ausziehen.
    »Schnell«, sagte der junge Mann auf Russisch. Sein britischer Akzent war noch stärker als der der Frau.
    Tarasov richtete sich auf, riss sich das blutige Hemd vom Leib und stopfte es in eine Plastiktüte. Das Blut war echtes Menschenblut, alles sollte möglichst realistisch aussehen.
    An einer Kreuzung neigte sich das Fahrzeug zur Seite, und der Brite musste sich an der Wand abstützen, während er Tarasov mit Spiritus die Brust abwischte. Die Blutpatrone war mit einer kleinen Zündkapsel ausgelöst worden und hatte ein Hämatom auf der Haut hinterlassen, aber das spielte keine Rolle, wichtig war nur die Flucht. Sie musste gelingen, eine Alternative hatte er nicht. Offiziell wurde man für Landesverrat nicht mehr mit
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