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Scherbenparadies

Scherbenparadies

Titel: Scherbenparadies
Autoren: Inge Loehnig
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Wagen aufsperrte, entdeckte er die Rose. Zögernd nahm er sie hinter dem Scheibenwischer hervor, betrachtete sie und roch daran.
    Ihre Knie wurden ganz weich. Ein Schwarm Hummeln summte in ihrem Kopf.
    Suchend sah er sich um.
    Sollte sie ihm ein Zeichen geben? Ihre Blicke glitten aneinander vorbei. Er ließ die Rose auf den Rasenstreifen fallen, der den Parkplatz begrenzte, und stieg in sein Auto.
    Ein Schmerz, glühend wie geschmolzener Stahl, setzte sich in ihre Brust. Dort verharrte er, bis sie endlich verstand, weshalb Nils das getan hatte. Er konnte ihr unmöglich vor allen zeigen, dass er ihre Botschaft verstanden hatte. Eine Rose, als Zeichen der Liebe. Er hatte an der Blüte gerochen. Seine Lippen hatten sie beinahe berührt. Ein indirekter Kuss. Sie konnte ihn beinahe fühlen.
    Das war vor einigen Tagen gewesen und eigentlich war jetzt er an der Reihe. Er war Single. Das hatte sie schon in Erfahrung gebracht. Sie wusste auch, wo er wohnte, denn er kam manchmal zu Fuß und einmal war sie ihm nach der Schule einfach nachgegangen. Sogar seine Handynummer und seine Mailadresse kannte sie. Zufällig aufgeschnappt. Beides hatte er Marlenes Mutter gegeben. Die hatte ein Reisebüro und würde die Klassenfahrt organisieren.
    Dieser Blick… Verträumt betrachtete sie ihn. Lässig hatte Nils sich an die Pultkante gelehnt und wartete, bis alle mit der Kurzgeschichte fertig waren, die er heute als Lektüre mitgebracht hatte.
    Sie hatte sie gelesen. Doch all die Wörter ergaben keinen Sinn. Wenn sie ihn sah, hatte in ihrem Kopf nichts anderes Platz. Und nun stellte er Fragen zum Text und in ihrem Hirn herrschte rosarote Leere. Was sollte er von ihr denken, wenn sie keine Antworten hatte?
    »Fällt euch an der Sprache etwas auf? Am Erzählstil?« Sein Blick wanderte durch die Klasse. Diesmal wich sie ihm aus und studierte den Lack ihrer Fingernägel.
    »Sandra?«
    Na klar. Wer sonst? Sandra! Diese Streberin. Natürlich hatte sie etwas zu sagen. Musste immer mitreden und sich wichtig machen. Ätzend.

2
    Der Gong erklang. Alle rafften ihre Sachen zusammen. Joswigs Hinweis, bis zur nächsten Deutschstunde die heute besprochene Kurzgeschichte in Bezug auf Milieu und Personen zu analysieren, ging im Trubel beinahe unter. »Und vergesst nicht, das Geld für die Klassenfahrt bis Anfang Dezember zu überweisen.« Diese Worte schnappte Sandra Plank noch auf, als sie das Klassenzimmer der 10 E verließ. 215 Euro. Ihre Mutter Laura hatte versprochen, das Geld für die Fahrt nach Berlin rechtzeitig herauszurücken.
    Berlin! Ein Traum! Sie wollte unbedingt mit! Doch irgendwie machten sich in der letzten Zeit immer mehr Zweifel in Sandra breit, ob ihre Mutter den Worten auch Taten folgen lassen würde.
    Jemand zupfte an ihrem Shirt. Es war Alina. »Kommst du mit auf einen Latte ins Einkaufszentrum?« Seit Alina mit Patrick zusammen war, hatte sie kaum noch Zeit für Sandra. Die Wege der ehemals guten Freundinnen liefen seither nicht mehr parallel, sondern drifteten weiter und weiter auseinander. Deshalb wäre Sandra heute nur zu gerne mitgegangen. Ein wenig ratschen und lästern, ein bisschen von der Zukunft träumen, dabei einen Latte trinken, dann durch Läden und Kaufhäuser ziehen, Klamotten probieren und vielleicht sogar etwas kaufen. Eine Winterjacke, eine Jeans. Beides hätte sie dringend gebraucht.
    Bedauernd schüttelte sie den Kopf. »Ich muss Vanessa von der Schule abholen.«
    Alina zog eine Schnute. »Warum macht deine Mutter das nicht? Schließlich ist sie arbeitslos und hat genug Zeit.«
    Maja stand neben der Tür. Wieder einmal war sie gestylt wie für eine Castingshow. Schwarze Leggings mit tausend Löchern, schwarzes Shirt und darüber ein grauer Strickpulli mit extragroßen Maschen. Fürs Make-up hatte sie sicher mehr Zeit verwendet als für die Hausaufgaben.
    Wie immer scharte sich ihr Fanklub um sie. Pat, Marlene und Tina hatten ihren Look dem von Maja angepasst. Logo. Kichernd musterten die vier Sandra. Verächtlich glitten ihre Blicke über die Chucks, die irgendwann mal rosa gewesen waren, die zerschlissene C-&-A-Jeans, ein ausgeblichenes Shirt von undefinierbarer Farbe und die Jeansjacke von Anno Domini 2006 oder so. Sandra hielt Majas Blick stand. Du hältst dich für die Tollste, oder? Dabei bist du weder intelligent noch hübsch. Du steckst nur in tollen Klamotten und alle himmeln dich an, weil dein Vater bei einer Konzertagentur arbeitet und schon mal mit Tom und Bill Kaulitz gequatscht hat. Und mit Lena
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