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Scherbengericht: Roman (German Edition)

Scherbengericht: Roman (German Edition)

Titel: Scherbengericht: Roman (German Edition)
Autoren: Germán Kratochwil
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Ein Gentleman. Der hätte mich inmitten meiner Feier nicht einfach sitzen lassen.«
    Katha und Gabo hörten kommentarlos zu, sie schienen sich nicht an den Großvater als Cellisten zu erinnern, oder waren noch vom knallenden Abgang Quiques überwältigt. Clementine begleitete das Schweigen der Enkel, das sie als bodenlose Gleichgültigkeit der jüngeren Generation interpretierte, mit missbilligendem Gesichtsausdruck und Kopfschütteln. Dann machte sie ihrem Ärger Luft: »Es ist unerhört, dass man mich jetzt einfach so allein hier sitzen lässt! Ich hätte ihnen allen doch auch noch etwas zu sagen gehabt. Man hat mich aber nicht zu Wort kommen lassen. Vor allem der saublöde Köter! Wer hat denn heute hier Geburtstag, möchte ich fragen? Was gibt es denn heute Wichtigeres zu tun? Haben die mich alle vergessen? Siegmund, Elias, mein Großer, Treugott? Ja, was tanzen denn die da dort um den Bauernkrüppel herum? Vorhin noch ist das Fest so schön gewesen …« Der Atem war ihr ausgegangen; sie schöpfte wieder Kraft und schleuderte, so laut sie konnte, zum Haus hinüber: »Ja, habt’s mich doch alle gern!« Gabo beobachtete eher belustigt die großmütterliche Wut, wogegen Katha sich bemühte, wie man es in der Klinik betrieb, sie wieder und wieder zu umarmen und zu besänftigen – doch Clementine weigerte sich und bog sich mit einem »Lass mich!« aus ihrem Arm. Dann schlug sie mit der flachen Hand auf den Tisch, gezielt auf die immer noch herumirrende Ameise. »Sella wie!«, bestimmte sie und begann mit dem Versuch, aus dem Sessel zu kommen. Es war außerdem höchste Zeit, die Windeln zu wechseln.

13
MARTIN ALLEIN
    Martin hatte seine Familie unter der Linde verlassen, um nach dem Verbleib der aufgebrochenen Geburtstagsgäste und des Personals zu sehen. Er fand zunächst niemanden, nirgends, dann aber alle auf einmal: in der Schlachtkammer. Rotraud, Delia und Mirta über den Toten geworfen, der auf dem Zementboden lag. Elias lag auf Mirta, und über ihnen lagen noch Gretl, Sarah und Benny: ein wogender, stöhnender Menschenknäuel. Martin fiel auf die Knie, versuchte, alle zu umarmen, und stieß dabei in die vom Haarspray oder Küchenbrodem drahtig-steifen Löckchen Rotrauds. Dann bemerkte er Siegmund, der starr und Hund bei Fuß vor der Tür angehalten hatte, an der Bannmeile des Todes. Auch Gabriel erschien kurz in der Helle des Türrahmens. Zuletzt stürzte Katha herein und warf sich heulend auf Martin.
    Jetzt standen sie alle in der warmen Sonne auf dem Hofplatz, in einem engen Kreis um Rotraud, die von Delia und Elias gestützt wurde. Gabriel hatte inzwischen schon mal die Gendarmerie angerufen, gleich darauf aber seinen verpackten Paragleitschirm geschultert, mit Katha ein Treffen für den nächsten Tag verabredet, allen anderen kurz zugewunken und zu Fuß den Tilo-Hof verlassen. Das Winken mochte vage auch dem Vater gegolten haben, sagte sich Martin.
    Auf einer alten feldgrünen BMW -Maschine kam ein Gendarm angerattert. Nachdem er sich in der Schlachtkammer umgesehen hatte, stellte er seine Fragen an die Festgäste und die Einheimischen. Schließlich befahl er Quique, aufzusitzen und mit auf die Wache zu kommen. Derweil waren auch der Arzt und – als Fahrer des Krankenwagens – Enzo Cirigliano eingetroffen. Sie zogen einen schwarzen Plastiksack über den Leichnam und wälzten ihn auf die Tragbahre. Auf dem Weg zum Fahrzeug indessen zerbrach eine Stange unter dem Gewicht des Farmers, und der Sack rollte auf den Boden. Bertl und Lumpi begannen in wilder Aufruhr zu bellen, rau und spitz. Erst als Benny in seinem Mick-Jagger-Shirt hinzusprang und den durchhängenden Leib um die Mitte packte, konnten sie ihn ins Innere des Krankenwagens schieben. Die Umrisse des Kolosses zeichneten sich unter der Hülle ab, und Martin hatte sekundenlang den Eindruck, als ob er sich bewegte. Er konnte nicht verhindern, dass Katha dieses Abschleppen mitansehen musste. Sie stand neben ihm und verkrallte ihre Finger in seinen Gürtel. Auch Mirta hatte sich an ihn gelehnt. Er legte ihr den Arm um den Hals und flüsterte ihr zu: »Sehen wir uns später, gegen Mitternacht?« Eine Antwort bekam er nicht, doch glaubte er deutlich gespürt zu haben, dass der Gegendruck ihrer Hüfte sich kurz verstärkt hätte, bevor Mirta von ihm abrückte.
    Rotraud bestand darauf, gleich mitzufahren. Enzo hätte noch gerne mit Gabo gesprochen, aber dann wandte er sich eben an Martin: »Mannomann, Herr Doktor, was für ein verrückter erster Jänner!
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