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Scherbengericht: Roman (German Edition)

Scherbengericht: Roman (German Edition)

Titel: Scherbengericht: Roman (German Edition)
Autoren: Germán Kratochwil
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Königsberg keine Ruhe. »Ich will doch auch nachsehen, wie unser guter Wirt mit seinem neuen Spielzeug zurechtkommt«, kündigte er an und stand mühselig auf. Clementines Gesicht folgte ihm mit ironisch verzogenem Mund – der kleinen Gestalt des Greises mit der schlotternden signalgelben Clownshose und seiner wippenden weißen Haarsträhne im Nacken. Darauf betrachtete sie wohlwollend den eleganten marineblauen Blazer und den farblich damit abgestimmten Alpaka-Rollkragenpulli, in denen Siegmund Rohr, wenn auch jetzt schon etwas stark zusammengesunken, ihrem Geburtstag die Ehre erwies – obgleich er die Blumen vergessen hatte.
    Abermals verstrich eine Weile und wurde nun doch als beunruhigende Wartezeit empfunden. Katha hatte damit begonnen, der Oma eine Frage zu beantworten, die diese ihr schon zu Beginn des asado gestellt hatte – nämlich nach »diesem Affentheater bei den Mapuches«. Lebhaft erzählte Katha von der Frau mit der Pauke, von der Rhetorik der Indigenen-Führer, von ihrer kollektiven Ausdünstung und davon, wie sie zum Schluss, zusammen mit ihrem Vater, das Projektdokument in der Luft zerfetzt hatten. Nach jeweils ein paar Sätzen wiederholte Clementine stereotyp: »Na geh, na geh, was du net sagst …« oder »ihr spinnt ja«.
    Gretl, die anscheinend nicht dem Gespräch folgte, meinte, sie wolle doch sehen, was ihren Eli so lange festhalte – und bat Benny und Sarah, sie zu begleiten. »Dein Sohn und deine Enkelkinder bleiben ja bei dir«, sagte sie zu Clementine, die Anwesenheit von Siegmund Rohr ignorierend. Benny schob den Zahnstocher in das Taschenmesser zurück und enfernte sich mit den beiden Frauen. Katha beobachtete, wie er Sarahs Schultern mit seinem muskulösen Arm liebevoll, lustvoll schien es ihr, umschlang.
    Der Hund unterm Tisch aber war nicht mehr zu beruhigen. Jedes Mal, wenn jemand aufgestanden und gegangen war, hatte er noch stärker gewinselt und gekläfft, und nach dem Fortgang von Gretl, seiner Gönnerin, besonders heftig an der Leine gezerrt. »Lumpi ist außer sich«, bemerkte Siegmund. »Wir wollen doch nachsehen, was uns so aufregt.« Er band den Dackel los, umklammerte seinen Stock und verließ das schattige Areal des Lindenbaums. »Entschuldige uns beide, Clementine. Das sind so die Freuden und Leiden des Herrchen-Daseins.« Erst jetzt, da der Dackel den Mauthausener hinter sich herzog, entdeckte Clementine dessen Segeltuchschuhe mit der herausragenden Zehe. Da stieg nun doch Empörung in ihr auf: keine Blumen und solch ein Aufzug! Wie senil die doch alle wurden – sogar der Granit.
    Martin Holberg hatte mehrmals besorgt zu den Lavendelbüschen geschaut, nun aber stand auch er auf. Etwas wie »Ich bin gleich wieder zurück« murmelnd, schritt er energisch aus und hatte sowohl Rohr wie den außer Rand und Band geratenen Dackel schon am Grillplatz überholt. Aufgebracht lehnte sich Clementine gegen die Linde.
    »Na endlich!«, bemerkte die Jubilarin, als Siegmund Rohr und ihr Sohn außer Hörweite waren. »Dank diesem hysterischen Köter hatte ich schon den Eindruck, mein Geburtstagsfest sei auf den Hund gekommen. Die ganze Zeit über wollte ich etwas sagen, wollte vor allem der schönen Rede von Elias antworten, aber dieses Hundsvieh hat mir stets das Wort abgeschnitten – und jetzt sind sie alle weg!« Katha und Gabo schwiegen einander beharrlich an. Nach einer langen Pause, in die Sprechstille hinein, in der nur das rege Leben in der Baumkrone unvermindert seine Klangkulisse darbot, begann sich Clementine demonstrativ nach allen Seiten umzuwenden und bemerkte dann ärgerlich: »Was ist denn das für eine Art, mich hier allein zu lassen! Hier geht’s ja zu wie in Haydns Abschiedssymphonie!« Verdrossen saß sie zwischen ihren beiden Enkeln, pickte mit den Fingerspitzen Mohnstrudelkrümel vom Tischtuch und zeichnete Linien in den Pollenstaub, der sich in den verflossenen Stunden darauf abgesetzt hatte. Eine Ameise krabbelte mit schwerer Beute vom Nussstrudel im Zickzack über das weiße Tuch; sie schien unter der Last ihren Orientierungssinn verloren zu haben.
    »Warum hast du denn deinen Ehering aufgeschnitten?«, fragte Katha überrascht, als sie den durchgetrennten Reif an der linken Hand der Oma entdeckte. Der Umstand machte auch Gabriel neugierig.
    »Ach, Kinder …«, seufzte Clementine, »wisst ihr, der Knöchel war schon ganz angeschwollen, ich konnte den Ring überhaupt nicht mehr abstreifen.«
    »Wozu wolltest du das auch?«, wunderte sich Katha.
    »Du
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