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Scherbengericht: Roman (German Edition)

Scherbengericht: Roman (German Edition)

Titel: Scherbengericht: Roman (German Edition)
Autoren: Germán Kratochwil
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herausfordernden Blick aus den Augenwinkeln auf Elias, als könnte sie ihm vor Betretenheit nicht voll ins Gesicht schauen, und grinste kumpelhaft. Sie fragte ihn: »Du hast’s ja auch gehört, Herr Psychologe – wie soll man dieses Frauenlob mit dem Decken der Kühe verstehen?« Aber die Züge des Psychoanalytikers wollten sich nicht zur kumpelhaften Heiterkeit aufhellen, sie vertieften sich vielmehr sorgenvoll und sein Blick lag bald fragend auf Martin, bald betrübt auf den Milchflecken über dem Mieder von Rotrauds Dirndlgewand. Unschlüssig wie wohl selten, zog Elias die Schultern hoch. Seine Sorge galt offensichtlich weder den Kühen noch den Kommunisten. Jetzt hat ihn sein Nachmittagstief gepackt, dachte Gretl.
    »Nehmt das nicht wörtlich, das ist eben Trigos Galgenhumor«, meinte Rotraud.
    »Es hat nichts mit Kuba zu tun. Trigo will einfach die Kühe möglichst früh glücklich machen, er ehrt alles Weibliche, ob Mensch oder Vieh«, setzte Katha hinzu. » Alles Weibliche träumt doch von Liebe, oder nicht, Oma?«
    »Da könntest du schon recht haben, mein Tschapperl! Man muss es aber auch fordern, wie Treugott sagt. ›Ich lass mir meine Träume nicht verbieten!‹ «, zitierte Clementine ihren Richard Tauber. »Ist’s nicht so, Sigismund?«
    Der konnte vorerst nur nicken, denn eben noch hatte er ein großes Stück Dobostorte in den Mund geschoben und die klebrige Karamellscherbe der Glasur war an der frisch reparierten Prothese hängen geblieben. Dann aber kam Siegmund Rohr wieder einmal mit einem seiner mysteriösen Zitate: »Schon Nietzsche hat gesagt …« – und dabei blieb es. Wer ihn kannte, wusste, dass kein weiteres Wort mehr folgen würde. Es war wohl nur sein Bedürfnis, Nietzsches Autorität im Mund zu führen, so wie er den falschen Wappenring, Kanonenrohr in Eichenlaub, am Finger trug. Clementine, die noch immer im Tauber-Melos schwelgte und dabei ihre Blicke im Garten herumschweifen ließ, konnte nun beobachten, dass Quique sich wieder zwischen den Spiersträuchern herumtrieb. In mächtigen Sätzen hüpfte der Lagler-Sohn jetzt zu den Resten des aufgespannten Lammes und riss für sich einen Rest aus der Keule heraus. Auch Rotraud hatte es bemerkt.
    »Kannst du dir nicht ganz normal ein Stück abschneiden, du unmöglicher Flegel!«, rief sie ihm zu; aber da war er schon mit seiner Beute hinter dem Gästehaus verschwunden. Wenigstens war Trigo dieser ekelhafte Vorgang erspart geblieben.
    »Warum hat eigentlich Quique nicht mit uns gegessen?«, fragte Katha.
    »Ja, warum bloß?«, schloss Clementine sich ihr an. »Jetzt erst fällt es mir auf! Wer hat Quique verboten, sich an meinen Geburtstagstisch zu setzen?«
    Elias, den es beim Ausruf Rotrauds hochgerissen hatte, beeilte sich für sie zu antworten. Dafür gebe es Gründe, die er Clementine und Katha später erzählen werde. Er schlage vor, dass man weiterhin mit gebührender Hochschätzung die Mehlspeisenkunst von Rotraud genieße, das sei man der hochbegabten Bäckerin schuldig. Er ging mit gutem Beispiel voran, ließ sich von Gretl, trotz ihrer Vorbehalte, je ein Stück Mohnstrudel und Nussstrudel auf den Teller legen und schwappte sich einen vollen Löffel Sahne darüber; dabei musste er wieder seine Frau abwehren, die Letzteres verhindern wollte. Zu Clementine hin beklagte er sich:
    »Weißt du, die liebe Gretli sorgt sich um meine Gesundheit. Sie will nicht einsehen, dass unsere Körper schon vor Jahren versagt haben. Ja, Clementine, sie haben es einfach versäumt, zur rechten Zeit ihre tödlichen Feinde hereinzulassen. Jetzt ist es zu spät; mögen sie auch eindringen, sie finden kaum etwas vor, sie verkommen, wir sind schon unsterblich und können Schlagobers und Mehlspeisen essen, so viel wir wollen.«
    »Toi, toi, toi«, wiederholte die Neunzigjährige argwöhnisch und klopfte auf die Tischplatte.
    »Diesmal schließe ich mich voll dem Onkel an, geistig und praktisch«, bemerkte Benny, und bediente sich an den Kuchen.
    »Wahrscheinlich kann Quique seinen Vater nicht ausstehen«, ging nun Gabriel auf die vorherige Frage seiner Schwester ein. »Vielleicht hält er sich fern, um seinem Unterdrücker nicht an die Gurgel springen zu müssen.«
    Elias lachte und verschluckte sich fast am Strudel mit Schlagobers: »Wird euch beim Futterer etwa noch der öde Ödipuskomplex eingebläut?«
    »Nein, uns werden keine Komplexe angehängt, eher reißen wir sie uns aus.«
    Sarah wollte sich wieder übersetzen lassen, worum es jetzt gehe und was
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