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Flüstern in der Nacht

Flüstern in der Nacht

Titel: Flüstern in der Nacht
Autoren: Dean R. Koontz
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    Am Dienstag im Morgengrauen erbebte Los Angeles. Fenster klirrten in ihren Rahmen. Windglockenspiele ertönten in den Innenhöfen, obwohl kein Wind wehte. In einigen Häusern fiel das Geschirr aus den Regalen. Später, nach Einsetzen des Berufsverkehrs, brachte KFWB, eine Radiostation, die den ganzen Tag nur Nachrichten sendet, das Erdbeben als wichtigste Meldung des Tages. Das Beben hatte auf der Richterskala den Wert 4,8 erreicht. Am Vormittag hatte KFWB das Ereignis bereits degradiert, an dritter Stelle stand es nun, hinter dem Bericht über einen Bombenanschlag in Rom und der Darstellung eines Unfalls mit fünf Fahrzeugen auf dem Santa Monica Freeway. Schließlich waren keine Gebäude eingestürzt. Am Mittag erachteten nur noch eine Handvoll Angelinos (hauptsächlich solche, die im letzten Jahr nach Westen gezogen waren) das Geschehen für so wichtig, um beim Mittagessen eine Minute lang darüber zu sprechen.
     
    Der Mann in dem rauchgrauen Dodge-Kombi spürte nicht einmal, daß die Erde bebte. Er fuhr vom nordwestlichen Stadtrand auf dem San Diego Freeway in südlicher Richtung, als das Beben einsetzte. Weil man in einem fahrenden Wagen nur sehr heftige Erdstöße wahrnimmt, erfuhr er von dem Erdbeben erst beim Frühstück in einer Imbißstube, als einer der Gäste davon sprach.
    Er wußte sofort, daß das Erdbeben ein Zeichen war, das nur für ihn bestimmt sein konnte. Entweder schickte es der Himmel, um ihn darin zu bestärken, daß sein Unternehmen in Los Angeles ein Erfolg sein würde – oder als Warnung, daß er scheitern würde. Aber welche Interpretation sollte er wählen?
    Während des Essens brütete er über dieser Frage – ein großer, kräftig gebauter Mann, einen Meter neunzig groß, hundertdrei Kilo schwer, alles Muskeln – und brauchte mehr als eineinhalb Stunden, um seine Mahlzeit zu beenden. Er begann mit zwei Eiern, Speck, Bratkartoffeln, Toast und einem Glas Milch. Er kaute langsam und methodisch, die Augen starr auf sein Essen gerichtet, so, als würde es ihn in Trance versetzen. Nachdem er den ersten Teller geleert hatte, bestellte er einen hohen Stapel Pfannkuchen, wieder mit Milch. Danach aß er ein Käseomelett mit drei Scheiben kanadischem Speck und noch einmal Toast und trank Orangensaft. Als er das dritte Frühstück bestellte, war er bereits Hauptgesprächsthema in der Küche. Das Mädchen, das ihn bediente, Helen, eine kleine, ewig kichernde Rothaarige, und auch alle anderen Bedienungen suchten einen Vorwand, um an seinem Tisch vorbeizugehen und ihn aus der Nähe zu betrachten. Er bemerkte ihr Interesse, doch das machte ihm nichts aus. Als er schließlich bei Helen zahlen wollte, sagte sie: »Sie müssen wohl Holzfäller sein oder so etwas.« Er schaute sie an und lächelte hölzern. Obwohl er sich das erste Mal in diesem Lokal befand und jene Helen erstvor neunzig Minuten kennengelernt hatte, wußte er doch genau, was sie sagen würde. Dasselbe hatte er schon hundertmal gehört. Sie kicherte verlegen, doch ihre blauen Augen blickten ihn weiter unverwandt an. »Ich meine, Sie essen für drei.« »Ja, so ist es wohl.«
    Sie stand vor der Nische, eine Hüfte an den Tischrand gelehnt, etwas nach vorne gebeugt und gab ihm auf nicht allzu subtile Weise zu verstehen, daß er sie haben könnte. »Und bei all dem Essen . . .haben Sie doch kein Gramm Fett an sich.« Immer noch lächelnd, fragte er sich, wie sie wohl im Bett sein würde. Er malte sich aus, wie er sie festhielt, langsam in sie drang – und dann stellte er sich seine Hände um ihren Hals gelegt vor, wie er zudrückte, zudrückte, bis ihr Gesicht dunkelblau anlief und ihr die Augen aus den Höhlen traten. Sie musterte ihn prüfend, so, als überlege sie, ob er wohl alle seine Triebe so zielstrebig befriedige wie eben seinen Hunger.
    »Sie brauchen sicher viel Bewegung.« »Ich stemme Gewichte«, meinte er. »Wie Arnold Schwarzenegger?« »Ja.«
    Sie hatte einen schöngeformten zarten Hals. Er wußte, er konnte ihn wie einen trockenen Ast brechen; der Gedanke daran erzeugte in ihm ein wohliges Glücksgefühl. »Sie haben ja mächtig starke Arme«, sagte sie leise und bewundernd. Er trug ein kurzärmeliges Hemd, und sie berührte seinen nackten Unterarm mit dem Finger. »Ich schätze, wenn Sie entsprechend viele Gewichte heben, können Sie essen, was Sie wollen; es werden immer bloß Muskeln daraus.« »Ja, so ungefähr ist es«, meinte er. »Ich hab auch den speziellen Stoffwechsel dafür.« »Hm?«
    »Ich
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