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Flüstern in der Nacht

Flüstern in der Nacht

Titel: Flüstern in der Nacht
Autoren: Dean R. Koontz
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Hilary vormittags zwei oder drei Stunden an ihren Pflanzen. Ganz gleich, wie aufgeregt sie sein mochte, sobald sie den Garten betrat, und auch noch beim Verlassen, war sie immer völlig entspannt, ja von einem inneren Frieden erfüllt.
    Sie hätte sich ohne weiteres einen Gärtner leisten können. Noch immer erhielt sie vierteljährliche Zahlungen von ihrem ersten Film, Arizona Pete, der vor mehr als zwei Jahren herausgekommen und ein enormer Erfolg war. Der neue Film, Kaltes Herz, der seit knapp zwei Monaten in den Kinos lief, schien ein noch größerer Erfolg als Arizona Pete zu werden. Ihr Haus mit zwölf Zimmern in Westwood, an der Grenze zwischen Bei Air und Beverly Hills, hatte eine hübsche Stange Geld gekostet, aber sie bezahlte es vor sechs Monaten bar. Im Showgeschäft wird Hilary als › heiße Ware ‹ gehandelt. Und genauso fühlt sie sich. Heiß. Glühend. Entflammt von Plänen und Möglichkeiten. Ein herrliches Gefühl, eine verdammt erfolgreiche Drehbuchautorin zu sein, wirklich ein Insidertip, und wenn sie es wollte, könnte sie sich eine ganze Kompanie Gärtner leisten.
    Aber sie pflegte ihre Blumen und die Bäume lieber selbst, denn der Garten galt ihr als ein ganz besonderer Ort, etwas beinahe Geheiligtes – das Symbol ihrer Flucht. Sie war in einem halb verfallenen Apartmentgebäude in einem der schlimmsten Viertel Chicagos aufgewachsen. Selbst heute noch, hier, inmitten ihres duftenden Rosengartens, brauchte sie nur die Augen zu schließen und schon sah sie wieder jede Einzelheit jenes Hauses vor sich. In der Eingangshalle hatten Diebe die Briefkästen aufgebrochen, weil sie stets nach Schecks von der Wohlfahrtsbehörde suchten. Die Korridore waren eng und schlecht beleuchtet, die Zimmer klein und trostlos und die Möbel abgewetzt und klapprig. In der winzigen Küche lebte man ständig in dem Gefühl, der alte Gasherd müsse jeden Augenblick lecken und explodieren; Hilary hatte jahrelang ängstlich die unregelmäßigen, zuckenden blauen Flammen im Herd beobachtet. Der Kühlschrank war schon altersschwach und gänzlich vergilbt; er ächzte und klapperte, und sein warmer Motor zog das an, was ihr Vater stets als ›das wilde Getier aus der Gegend‹ bezeichnete. Jetzt, hier in ihrem reizenden Garten, erinnerte Hilary sich wieder ganz deutlich an das wilde Getier, mit dem sie ihre Kindheit verbracht hatte, und dabei lief ihr ein Schauder über den Rücken. Obwohl sie und ihre Mutter die vier Zimmer makellos sauber hielten und riesige Mengen Insektenvertilgungsmittel anwendeten, waren sie doch der Küchenschaben nie Herr geworden, weil die verdammten Biester durch die dünnen Wände aus den anderen Wohnungen, wo die Leute nicht so reinlich waren, herüberkrochen. Die lebhafteste Erinnerung aus ihrer Kindheit bildete der Blick aus dem Fenster ihres engen Schlafzimmers. Dort hatte sie viele einsame Stunden verbracht und sich versteckt, wenn Vater und Mutter miteinander stritten. Ihr Zimmer galt ihr stets als Ort der Zuflucht, sobald dieses entsetzliche Schimpfen und Schreien anhob oder sich andererseits drückendes Schweigen ausbreitete, weil ihre Eltern nicht mehr miteinander redeten. Nicht daß der Blick aus dem Fenster besonders eindrucksvoll gewesen wäre: Da gab es außer einer rußbedeckten Ziegelmauer gegenüber eines eineinhalb Meter breiten Durchganges nicht viel mehr zu sehen. Man konnte das Fenster nicht öffnen; die Scharniere und Schieber waren dick mit Farbe überpinselt. Man konnte einen schmalen Streifen vom Himmel sehen, wenn man das Gesicht fest gegen die Glasscheibe drückte und senkrecht nach oben durch den engen Schacht spähte. Verzweifelt bemüht, dieser schäbigen Welt zu entfliehen, lernte die kleine Hilary früh, ihre Phantasie einzusetzen, um durch die Ziegelmauer hindurchzusehen. Sie schickte also ihre Vorstellungskraft auf die Reise, und plötzlich blickte sie auf weich geschwungene Hügel, auf den endlosen Pazifik oder riesige Bergketten. Die meiste Zeit allerdings beschwor sie in sich das Bild eines Gartens herauf, einen verwunschenen Ort mit sorgfältig gestutzten Sträuchern und hohen Spalieren, von dornigen Rosenbüschen umrankt. In dieser Phantasiewelt existierten schmiedeeiserne, weißlackierte Gartenmöbel in Mengen und bunt gemusterte Sonnenschirme, die im kupfernen Sonnenlicht kühle Schattentümpel warfen. Frauen in reizenden langen Kleidern und Männer in Sommeranzügen nippten an eisgekühlten Getränken und plauderten liebenswürdig miteinander.
    Jetzt lebe
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