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Flüstern in der Nacht

Flüstern in der Nacht

Titel: Flüstern in der Nacht
Autoren: Dean R. Koontz
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machte sich ein belegtes Brot und nahm es, zusammen mit einer kalten Flasche Bier, mit nach oben. Im Erdgeschoß ließ sie alle Lichter brennen, in dem Gefühl, damit jeden nächtlichen Eindringling abzuschrecken – falls es wirklich jemanden gäbe, der auf ihrem Grundstück herumlungerte. Später kam sie sich albern vor, das Haus so hell beleuchtet zu haben.
    Sie wußte genau, was mit ihr nicht stimmte. Ihre Nervosität war ein Symptom ihres alten Leidens – ihres Ich-verdiene-all-das-Glück-nicht-Leidens. Sie stammte aus kleinen Verhältnissen, aus der Anonymität, und hatte jetzt alles. Und in ihrem Unterbewußtsein regte sich eine Angst, Gott würde plötzlich auf sie aufmerksam werden und beschließen, daß sie nicht alles verdiente, was sie jetzt besaß. Daß ein Hammer herunterfallen könnte und alles, was sie so mühsam zusammengetragen hatte, zerschmettern und wegwehen würde: das Haus, den Wagen, die Bankkonten ... Ihr neues Leben erschien ihr wie ein Märchen, ein Phantasiegebilde, etwas, das zu schön war, um wahr zu sein, und ganz sicher allzu schön, um für immer Bestand haben zu können.
    Nein. Verdammt noch mal, nein! Sie mußte aufhören, sich selbst kleiner zu machen, als sie war, aufhören, so zu tun, als wäre alles, was sie besaß, nur ihrem Glück zuzuschreiben. Dabei hatte Glück damit überhaupt nichts zu tun. Hineingeboren in ein Haus der Verzweiflung und dort aufgewachsen nicht mit Liebe und Freundlichkeit, sondern mit Unsicherheit und Angst, war sie von ihrem Vater nie geliebt und von ihrer Mutter lediglich geduldet worden, in diesem Zuhause, wo Selbstmitleid und Bitterkeit alle Hoffnung verdrängt hatten. So wuchs sie fast selbstverständlich ohne Sinn für ihren wahren Wert heran. Jahrelang mußte sie sich mit einem Minderwertigkeitskomplex herumschlagen. Aber das alles lag weit zurück. Sie hatte eine Therapie gemacht und verstand sich jetzt selbst besser. Sie wollte jene alten Zweifel nicht erneut in sich aufkeimen lassen. Das Haus, der Wagen, und das Geld würden ihr nicht genommen werden; sie hatte sich alles redlich verdient. Sie arbeitete hart, und sie besaß Talent. Niemand gab ihr nur deshalb die Stellung, weil sie eine Verwandte oder Freundin war; bei ihrer Ankunft in Los Angeles hatte sie niemanden gekannt. Niemand hatte ihr Geld einfach in den Schoß gelegt, nur weil sie hübsch war. Angezogen von der Vielfalt im Bereich der Unterhaltungsbranche und der Aussicht auf Ruhm, trafen täglich scharenweise schöne Frauen in Los Angeles ein, und gewöhnlich behandelte man sie schlechter als Vieh. Daß gerade sie den Weg nach oben geschafft hatte, dafür gab es einen guten Grund: Sie war eine vortreffliche Schriftstellerin, die ihr Metier beherrschte und eine energische, phantasievolle Künstlerin, die sich darauf verstand, für viele zahlende, begeisterte Zuschauer Drehbücher zu schreiben. Sie hatte jeden Cent verdient, den man ihr bezahlte; also bestand für die Götter kein Grund zur Rachsucht.
    »Beruhig' dich gefälligst«, sagte sie laut. Sie aß das belegte Brot, trank ihr Bier, ging dann hinunter und schaltete das Licht aus. Anschließend schlief sie tief und fest.
     
    Der nächste Tag war einer der besten ihres Lebens. Und einer der schlimmsten.
     
    Jener Mittwoch fing gut an. Der Himmel war wolkenlos und die Luft sauber und klar. Das Morgenlicht zeigte jene besondere Eigenschaft, die man nur in Südkalifornien, und dort auch nur an bestimmten Tagen, findet. Das Licht wirkte wie Kristall, hart und doch warm, wie die Sonnenstrahlen in einem kubistischen Gemälde. Dieses Leuchten vermittelte einem das Gefühl, die Atmosphäre müßte sich jeden Augenblick auftun, wie ein Vorhang, und eine neue Welt hinter der jetzigen enthüllen.
    Hilary Thomas verbrachte den Vormittag in ihrem Garten. In ihren von Mauern umgebenen zweitausend Quadratmetern hinter dem zweistöckigen Haus im neo-spanischen Stil fanden sich zwei Dutzend verschiedene Rosengattungen – Beete, Spaliere, Hecken. Da gab es die Mrs.-Karl-Druschki-Rose, die Madame-Pierre-Oger-Rose, die rosafarbene Souvenir-de-la-Malmaison-Rose und eine Vielzahl weiterer moderner Züchtungen. Der Garten erstrahlte im Glanz weißer, roter, orangefarbener, gelber, rosafarbener und purpurner, ja sogar grüner Rosen. Manche Blüten waren so groß wie Untertassen und andere so winzig, daß sie wohl durch einen Ehering gepaßt hätten. Den saftig grünen Rasen übersäten Blütenblätter jeder nur vorstellbaren Farbe.
    Meistens arbeitete
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