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Scherben: Du tötest mich nicht (German Edition)

Scherben: Du tötest mich nicht (German Edition)

Titel: Scherben: Du tötest mich nicht (German Edition)
Autoren: Kerstin Ruhkieck
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konnte er seinen Vater schon von weitem hören. Da wusste er, dass die Unbeschwertheit des Tages vorbei war.
    Sein Vater hatte mal wieder getrunken, und Alkohol hatte bei ihm die Angewohnheit, seine ohnehin dominierenden schlechten Charaktereigenschaften hervorzuheben.
    »Mein Vater heißt Adolf, genau wie ich, ihr kleinen Sche ißer!«, brüllte er ihnen mit schwankender Stimme aus dem offenen Fenster entgegen. Conny warf einen Seitenblick zu Nicky, der verlegen auf seine Füße sah. Er wusste, dass Nicky Mitleid mit ihm hatte. Obwohl er normalerweise kein Mitleid wollte und auch nicht zuließ, gestattete er es Nicky und nahm es als ein Zeichen seiner Freundschaft.
    »Bis morgen, Alter. Und provozier nicht schon wieder deinen Dad.«
    Conny musste zugeben, dass er das gerne tat. Die Prügel, die er meist dafür bezog, waren ihm mittlerweile egal. Er sah dies als ausgleichende Gerechtigkeit dafür, dass er kleine Tiere quälte. Für diesen Spaß war er bereit, die Schläge seines Vaters in Kauf zu nehmen, obwohl dieser von seinem Treiben im Wald nicht einmal ahnte. Wer allerdings für die ausgleichende Gerechtigkeit bei seinem Vater sorgte, der regelmäßig Sohn und Frau vermöbelte, wusste Conny nicht.
    »Provozier du aber auch nicht deine Mutter«, gab Conny u nbekümmert zurück.
    Nun blieb Nicky stehen und hielt Conny am Arm fest. »Hey komm, das ist nicht das Gleiche, und das weißt du«, sagte er aufgebracht. Dabei musste ihm eigentlich klar sein, dass Conny längst dämmerte, was bei ihm zu Hause abging. »Wie du meinst, Alter«, erklärte Conny und ging in das Haus, in dem sein Vater bereits auf ihn wartete. Doch gleichzeitig wusste er, dass die Hölle, die seinen Freund Nicky zu Hause erwartete, auch nicht viel gemütlicher war.

Kapitel 2
     
    Heute
    Freitag, 13. Juni
     
    I n einer Welt, in der Demütigung nicht existierte und Schmerz keine Rolle spielte, wäre Vanessa einen Tag nach ihrer öffentlichen Bloßstellung wieder zur Arbeit gegangen. Doch so eine Welt gab es nicht. Sie fürchtete, angestarrt zu werden, bemitleidet oder ausgelacht, außerdem konnte sie nicht garantieren, dass sie Friederike nicht den Hals zudrückte, bis diese das Bewusstsein verlor, sobald sie ihr über den Weg lief. Und so plagte Vanessa an diesem Tag eine betäubende Migräne - zumindest war es das, was sie behaupten würde, sollte jemand aus der Werbeagentur nach Gründen für ihr unentschuldigtes Fehlen fragen.
    Vanessa schlief lange, stand gegen zehn Uhr auf und wusste nichts mit sich anzufangen. Ihr kurzes Frühstück, das aus Kaffee und einem Schokoriegel bestand, war schnell e rledigt, und auch im Bad war sie bereits nach einer Viertelstunde fertig. Sie hatte also Zeit, mit der sie nichts anfangen konnte. Stattdessen fühlte sie sich aufgewühlt, unruhig, etwas bohrte und nagte an ihr, als wäre sie gerade Zeugin eines schrecklichen Unfalls geworden.
    Nach ewigen Minuten vor dem Fernseher, der ihr jedoch nur billige Talk-Shows und alte Serien bieten konnte, hatte V anessa das beklemmende Gefühl, die Decke ihrer kleinen Wohnung würde ihr jeden Moment auf den Kopf fallen. Sie wohnte nun seit über zwei Jahren in der 35 Quadratmeter großen Ein-Zimmer-Wohnung, doch so unwohl wie an diesem Morgen hatte sie sich hier noch nie gefühlt. Abgesehen natürlich von dem einen Tag …
    Nein! Vanessa schüttelte abwehrend den Kopf. Auf diesen Gedanken wollte sie sich nicht einlassen. Sie machten keinen Sinn, hatten keine Bedeutung und führten zu nichts - eine tödliche Mischung. Kurzentschlossen sprang sie von ihrer alten Couch auf, machte den Fernseher aus und verließ übe rstürzt und kopflos ihre Wohnung.
     
    Vanessa hatte gewusst, wohin es sie treiben würde. Dennoch war sie irgendwie überrascht, als sie plötzlich vor dem Laden mit der großen Glasfront und dem aufgemalten Skorpion an der Eingangstür stand. Sie konnte nur erahnen, was sie immer wieder an diesen Ort trieb, obwohl sie eigentlich gar nicht hier sein wollte. Schließlich waren es nicht nur positive Erinnerungen, die sie mit diesem Laden verband, und doch zog er sie immer wieder wie ein Magnet an.
    Aber das Geschäft hatte geschlossen. Vanessa warf einen Blick auf die Öf fnungszeiten, die handschriftlich auf die Tür gepinselt waren, obwohl sie die eigentlich auswendig kannte.
    Freitags 15 bis 1 Uhr.
    War es denn noch so früh? Es kam Vanessa vor, als wäre der Tag schon alt und fahl. Ein Blick auf die Standuhr an der Kreuzung bestätigte jedoch, dass die
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