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Schenkel, Andrea M

Schenkel, Andrea M

Titel: Schenkel, Andrea M
Autoren: Bunker
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Chance. Ich lass mich nicht von dir fertig machen! Ich muss mir alles genau überlegen, der kleinste Fehler und die Sache läuft schief. Also wie fange ich an?
    Ruhig bleiben. Tief durchatmen, Kopf hoch, ganz aufrecht auf ihn zugehen. Nur keine Angst zeigen. Am besten wäre es, wenn ich betont weiblich ginge. So wie die Models auf dem Laufsteg. Schritt für Schritt, ein Fuß vor den anderen, mit Betonung der Hüften beim Gehen. Etwas lasziv wäre nicht schlecht. Hoffentlich geht das gut, hoffentlich kann ich das. Vielleicht fällt er dann über mich her? Typen wie der stehen auf so was. Und es jagt ihnen gleichzeitig Angst ein. Ich muss direkt neben ihm stehen bleiben. Meine Scham in Höhe seines Gesichts. Was macht er dann? Der ist bestimmt ganz verlegen, starrt betreten auf seine gefalteten Hände. Ihm ist es sicher unangenehm, mich nackt so nahe neben sich zu haben. Das ist so einer, der traut sich nur, wenn man wehrlos ist, wenn ich schlafe, dann fühlt er sich stark, holt sich einen runter, während er auf meinen nackten Körper stiert.
    Arschloch, gut, was weiter? Ich stelle mir vor, wie er zu schwitzen anfängt, er atmet tief und laut ein. Ich muss ganz entspannt sein, ihn spüren lassen, wie sehr ich meine Überlegenheit auskoste. Ich muss schnell handeln. Er darf keine Zeit haben. Schlag auf Schlag, sonst geht es schief. Ich umgreife seinen Kopf, drehe den Schädel in meine Richtung. Ich drücke sein Gesicht in meinen Bauch. Er soll keine Luft mehr bekommen. Ganz fest drücke ich ihn gegen mich. Drücke mit aller Kraft zu, bis er blau anläuft und kein Atem mehr zu hören ist. Keine Gnade, wenn er winselt und fleht. Er hat es verdient. Er wird versuchen nach Luft zu schnappen, wird versuchen sich zu wehren. Wie ein Fisch auf dem Trockenen wird er sich winden. Wenn ich nur fest genug zudrücke, wird er keine Chance haben, ich muss ihn nur fest genug an mich drücken. Und alles muss schnell gehen, ich muss ihn überrumpeln. Wenn er nur noch japst, ziehe ich seinen Kopf mit aller Gewalt in den Nacken, brülle ihn an: »Du schlägst mich nie wieder, verstanden?« Ich sehe sein Gesicht vor mir, aufgedunsen, die Haut feucht vom Schweiß und gerötet. Aus engen Augenschlitzen wird er mich ängstlich ansehen. Um Gnade bitten.
    Er steht auf. Geht zur Falltür, öffnet sie, steigt hinunter. Ohne mich zu beachten. Die Falltür fällt zu! Ich bin alleine, ich habe zu lange gezögert, stehe immer noch vor dem Schrank, die halb geöffnete Schranktür in meinem Rücken, beide Arme schützend vor meinem Körper. Ich lasse die Arme sinken. Gehe hinüber zum Bett und lasse mich darauffallen. Ich ziehe die Bettdecke über mich und schließe die Augen, stechende Schmerzen vom Nacken hoch in meinem Kopf.
    Da ist es wieder, das Kind hinter dem Baum. Aus dem Nichts steht der kleine Junge vor mir, mager. Ich gehe auf ihn zu, ich kenne ihn nicht und doch ist er mir vertraut, wie der Wald, in dem ich mich befinde. Ich erkenne ihn an seinem blutverschmierten Ohr. Das Gesicht des Jungen wandelt sich, ich kann es nicht richtig sehen. Irgendetwas an ihm ist mir unangenehm, macht mir Angst. Das Kind weicht meinem Blick aus, schaut mich einfach nicht an, blödes Balg! Der Junge fuchtelt mit den Armen. Macht Zeichen. Was will er? Die Bewegungen werden ruhiger, geordneter, Linien, Kreise, Buchstaben. Es sind Buchstaben, die er mit dem Finger in die Luft zeichnet. Er malt Buchstaben in die Luft. Geheimsprache, so wie wir es als Kinder machten. Buchstaben in die Luft malen oder auf den Rücken schreiben, und dann: »Wie lautet das Wort, rate!« Okay, ich spiele mit. Ich versuche mich zu konzentrieren. Ich erkenne ein ›D‹. Danach ein ›O‹? Er schüttelt energisch mit dem Kopf. Beginnt von Neuem. Ein ›D‹, er nickt, dann ein ›U‹, er nickt wieder. »DU«! Gut, weiter. Er schreibt weiter in die Luft, schnell, viel zu schnell. Ich kann es nicht entziffern. Er schreibt wieder. Ich kann das Wort nicht erkennen. Er verliert das Interesse an dem Spiel, wendet sich ab, läuft weiter in den Wald hinein. Warte, so warte doch! Ich laufe ihm hinterher, versuche ihm zu folgen. Im Wald ist keiner mehr zu sehen.
    Der Linienbus fährt langsam auf die Haltestelle zu. Ich bin der einzige Fahrgast. Noch während der Fahrt stehe ich von meiner Sitzbank auf. Gehe den Mittelgang entlang zur vorderen Bustür. Halte mich dabei an der Haltestange fest. Neben der Fahrertür bleibe ich stehen, lehne mich mit dem Rücken an die Plexiglasscheibe. Der Fahrer
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