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Schattenwelten

Schattenwelten

Titel: Schattenwelten
Autoren: Fran Henz
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Haus des Sägewerksbesitzers angekommen und er betätigte den Türklopfer. Ein Lakai öffnete und sah ihn an. Juri konnte das Haus nicht betreten, wenn man ihn nicht hereinbat und der Mann erweckte nicht den Eindruck, als würde er das tun. Also streckte Juri seine Arme aus, in denen sich Nadescha zusammengrollt hatte.
    „ Sie ist die Nichte von Alexej Kanzanow. Ihre Begleiter kamen bei einem Unfall ums Leben. Wölfe“, sagte er.
    Hinter dem Diener tauchten andere Leute auf. Eine Frau mit tiefem Dekolleté und einer roten Straußenfeder im weißgepuderten Haar drängte alle anderen beiseite.
    „ Nadescha, Täubchen“, rief sie laut und durchdringend.
    Der Diener nahm ihm das Mädchen ab. Die Frau sah ihn an, nickte ihm kurz zu und dann wurde die Tür geschlossen. Sie misstrauten ihm. Menschen spürten, dass er anders war und mieden ihn.
    Er ging um das Haus herum und blieb neben einem der hellerleuchteten Fenster stehen. Es war weit nach Mitternacht, aber im Haus herrschte rege Betriebsamkeit. In zwei Tagen feierte man Weihnachten, vermutlich hatten sie bereits jede Menge Gäste eingeladen.
    Sie lachten, tranken und eine Frau saß an einem kunstvoll geschnitzten Spinett. Es war eine sorglose, heitere Szene, die sich vor ihm im sanften Schein der Kerzen darbot. Etwas, das er nie erlebt hatte und nie erleben würde. Eine tiefe Sehnsucht überkam ihn, nagelte ihn neben dem Fenster fest und setzte seine gewohnte Vorsicht außer Kraft.
    Er hörte nicht, wie sie sich durch den Schnee zu ihm schlichen, wie einer den Knüppel hob und ihn auf seinen Kopf niedersausen ließ. Als er wieder zu Bewusstsein kam, saß er aufrecht an einen Baumstamm gelehnt. Sein Oberkörper war mit Eisenketten daran gefesselt. Ein Stück entfernt hörte er aufgebrachte Stimmen.
    „ Wir müssen ihn töten. Er ist einer von denen. Ein Blutsauger, ein Mörder. Er hat die Kutsche der Kleinen überfallen und ihre Begleiter getötet.“
    „ Ja, er ist unheiliges Monster, wir müssen ihn pfählen, so wie es in den Büchern steht.“
    „ Pfählen wir ihn.“
    „ Pfählen! Pfählen! Pfählen!“, hallte die Forderung durch die Nacht.
    Eine ruhige Stimme unterbrach das Gegröle. „Warum sollte er Nadescha zu uns bringen, wenn er ihre Begleiter getötet hat?“
    „ Eine List, eine Finte, um sich in unser Vertrauen zu schleichen.“
    „ Pope, lass uns das Monster pfählen, wenn er zu Staub zerfällt wirst du sehen, dass wir recht haben.“
    „ Und wenn nicht?“, fragte die ruhige Stimme. „Dann wissen wir, dass er unschuldig war, aber tot ist er trotzdem. Willst du, Gregorij, einen Mord begehen? Oder du, Iwan?“
    Sie schwiegen.
    „ Was schlägst du vor, Väterchen?“
    „ Wir lassen ihn hier. Ist er ein Untoter, wird ihn die Sonne in ein paar Stunden richten. Ist er ein Mensch, wird ihm nichts geschehen.“
    Sie murmelten durcheinander, dann hörte Juri, wie sie sich entfernten. Er blickte zu den Sternen, die am samtigen Nachthimmel funkelten. Die Entscheidung war gefallen und sein Schicksal besiegelt. Vielleicht hätte er die Ketten auseinander reißen können, wenn er sich anstrengte. Aber er war müde, er hatte die Einsamkeit satt. Die Hölle konnte nicht schlimmer sein als das Leben, das er führte.
    „ Frierst du?“ Nadescha stand neben ihm. Sie hielt eine dicke Wolldecke in der Hand.
    Überrascht sah Juri sie an. „Nein, Kindchen, ich friere nicht. Aber du solltest wieder ins Haus gehen, bevor du dich erkältest.“
    Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich will nicht. Mir gefällt es hier nicht.“
    Ehe Juri etwas sagen konnte, hatte sie sich in die Decke gewickelt und auf seinen Schoß gesetzt. „Sie haben kalte Herzen. Alle hier. Ich will nicht hier bleiben.“ Sie schob die Unterlippe vor. „Soll ich dir helfen, dich zu befreien?“
    „ Nein, ich habe lange genug gelebt, Nadescha. Meine Zeit ist gekommen.“
    Sie schmiegte sich an ihn.
    „ Warum hast du keine Angst vor mir? Du weißt, was ich bin, du hast gesehen, was ich getan habe“, fragte er.
    „ Meine Mutter war ein Vampir.“ Sie hob den Kopf und sah ihn an. „Lange, bevor sie meinen Vater kennenlernte. Sie hat mir davon erzählt.“
    „ Wie ... wie ...“, stammelte er fassungslos. Eines der wenigen Dinge, die er mit absoluter Sicherheit wusste war, dass Vampire keine Kinder bekommen konnten.
    „ Sie wurde erlöst. Ein reines Herz kann einen Vampir wieder in einen Menschen verwandeln. Sie hat jemanden gefunden, der es getan hat. Aus freien Stücken und ohne eine
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