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Schattenwelten

Schattenwelten

Titel: Schattenwelten
Autoren: Fran Henz
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nächsten Zimmer abrupt zum Stehen.
    Ein Mann saß auf einer Chaiselongue, ein Bein auf der Sitzfläche ausgestreckt. Er trug keine Schuhe und keine Strümpfe. Da der Morgenmantel aus gelben Brokat offen stand, sah Amelie, dass er auch kein Hemd trug. Sein aschblondes Haar hing strähnig und unfrisiert in sein Gesicht. Ein Gesicht, das zur Hälfte von einer dunklen, silbergerahmten Brille verdeckt wurde. Er war viel jünger als Amelie erwartet hatte. Benno war einundvierzig gewesen, aber dieser Mann hier konnte höchstens Ende zwanzig sein.
    Er machte eine vage Handbewegung in ihre Richtung. „Nehmen Sie Platz, Frau .“
    „ Fräulein Schrödinger“, ergänzte Amelie.
    Er nahm einen Zug von der dünnen Zigarre, die er in seiner Hand hielt. „Fräulein Schrödinger also. Gut. Was ist so dringend, dass Sie Verabredungen erfinden müssen, um mit mir zu sprechen?“
    Dieser Gesprächsbeginn war nicht gerade dazu angetan, Amelie zu ermutigen. Unglücklich sank sie auf einen Lehnsessel und blieb auf der äußersten Kante sitzen. „Ich bin ... war ... eine Bekannte von Benno.“
    Er schwieg und machte einen weiteren Zug von seiner Zigarre.
    „ Ich ... er ... wir ...“, sie brach ab und nagte an ihrer Unterlippe. Sie wusste nicht weiter. Ihre vorbereiteten Worte hatten sich in einen dunklen Winkel ihres Verstandes geflüchtet und waren nicht bereit, von dort hervorzukommen.
    Amelie sah, wie er nach der Kaffeetasse auf dem Tisch griff. Aber er griff nicht, er tastete. Ihr Blick flog zu seinem Gesicht, das starr nach vorne gerichtet war.
    Mehrere Dingen fielen ihr in diesem Moment gleichzeitig ein. Sie saß einem Mann gegenüber, von dem sie außer seinem Nachnamen nichts wusste, der in unpassender Aufmachung weiblichen Besuch empfing und der ... blind war.
    Er trank die Tasse leer und stellte sie zurück auf den Tisch oder zumindest dorthin, wo er den Tisch vermutete. Amelie sprang auf und packte die Tasse, bevor sie zu Boden fiel. Ihre Finger berührten kurz die seinen.
    „ Danke“, sagte er und fuhr dann fort, „also, was wollen Sie?“
    Amelie holte tief Luft. „Ich war eine gute Bekannte von Benno, besser gesagt eine sehr gute Freundin. Und jetzt wo er tot ist, brauche ich ... wollte ich ... fragen ...“
    Der Mann setzte sich auf und stellte sein Bein auf den Boden. Die ruhige Gelassenheit war aus seiner Haltung gewichen. Stattdessen strahlte er eisige Ablehnung aus.
    „ Sie waren die Geliebte meines Bruders und jetzt sind Sie schwanger und glauben, dass Sie sich damit ihr weiteres Leben finanzieren können“, stellte er schneidend fest.
    Alle Farbe wich aus Amelies Gesicht. „Nein, so ist es nicht“, stammelte sie. „Nicht ... nicht ganz.“
    „ Wenn es nicht so ist, dann hätten Sie vielleicht die Güte mir zu enthüllen, wie es ist.“ Sarkasmus troff aus seinen Worten.
    Amelie drückte die Schultern durch. „Ich war Bennos Geliebte, aber ich bin nicht schwanger. Und ich will auch kein Geld.“
    „ Was wollen Sie dann?“, fragte er gereizt.
    „ Ich will als Gouvernante oder Gesellschafterin arbeiten und dafür brauche ich ein Empfehlungsschreiben .“
    Er warf den Kopf in den Nacken. Sein Lachen ließ sie innehalten. „Empfehlungsschreiben“, wiederholte er mit noch immer schwankender Stimme. „Das ist wirklich gut. Mit Erwähnung besonderer Fähigkeiten.“ Er begann wieder zu lachen.
    Amelie starrte ihn an und fühlte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen, aber dann biss sie die Zähne zusammen und straffte sich. „Genau. Mein Spezialgebiet ist griechische Mythologie, ich kenne mich auch recht gut in Botanik und Geographie aus. Leider kann ich kein Musikinstrument spielen, aber ich habe eine angenehme Stimme und meine Zeichnungen fanden immer große Zustimmung.“
    Er hatte aufgehört zu lachen. „Sie können Lesen und Schreiben“, stellte er nachdenklich fest und strich über sein unrasiertes Kinn.
    . . .
     
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