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Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse

Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse

Titel: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse
Autoren: Tanja Heitmann
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Herz schlug mir bis zum Hals, als ich nach dem roten Kleid griff, das nach wie vor über der Stuhllehne hing. »Sam meinte, es gehört dir«, hatte Reza gesagt. Das stimmte und dann auch wieder nicht. Ich hatte es abgestreift, weil ich es nicht länger ertragen hatte, von Nikolai besessen zu werden.
    Vorsichtig berührte ich den Stoff und stellte fest, dass er sich verändert hatte: Die Schattenschwingenmagie war aus ihm herausgewaschen worden, es war jetzt lediglich ein rotes Kleid, nicht mehr und nicht weniger. »Genau wie ich«, sagte ich leise, obwohl es nicht die ganze Wahrheit war. Ich war nicht einfach ein Menschenmädchen, das noch einmal von vorn beginnen musste. Die Sphäre hatte mich verändert, hatte Seiten meiner Persönlichkeit aufgedeckt, die ich unter anderen Umständen nie kennengelernt hätte. Und auch meine Verbindung zu Nikolai hatte Spuren hinterlassen: Er war bereit gewesen, seine Unsterblichkeit mit mir zu teilen. Auch wenn der Widerhall seiner Präsenz seit seinem Tod verblasste, so würde er niemals vollends erlöschen.
    Der Stoff zwischen meinen Händen war weich und fließend. Ich hoffte darauf, dass er eine Verbindung zu meiner Vergangenheit herstellen, mir die Dinge zuflüstern würde, die Nikolai mit seinem Griff nach mir verdrängt hatte. Aber ein solcher Zauber wohnte dem Kleid offenbar nicht inne. Mit zunehmender Verzweiflung hielt ich es vor mich, streifte es sogar über, zog es wieder aus und zerknüllte es schließlich. Nichts, nichts und wieder nichts! Dieser Sam hatte nicht die leiseste Ahnung, nicht einmal den Hauch davon.
    Vor lauter Frust konnte ich nicht länger stillstehen und schnappte, vor mich hin schimpfend, einige Kleidungsstücke aus dem Schrank, um dann angezogen auf den Flur hinauszustürmen. Im Haus herrschte Ruhe, so früh war außer mir noch niemand auf den Beinen. Das war mir recht, ich wollte mich nicht erklären müssen, sondern nur die Beklemmung abschütteln, die von mir Besitz ergriffen hatte. Ich fasste erst wieder einen klaren Gedanken, als ich die Terrassentür aufriss und salziger Nordwind in mein Gesicht wehte.
    Ich atmete tief durch. Salz und Meer, danach hatte es in der gläsernen Festung nie gerochen. Dort war die Luft kaum wahrnehmbar, lediglich von einer Spur Weihrauch durchzogen gewesen. Die Schwere des Meeresgeruchs erdete mich. Ich würde an die Küste gehen und beobachten, wie die Wellen kamen und gingen. Das war es, wonach ich mich sehnte.
    »Du erholst dich schneller, als ich es für möglich gehalten hätte.«
    Asami saß auf einem hölzernen Gartenstuhl, das Schwert ruhte auf seinen Oberschenkeln und Raureif lag auf seinem Haar und den nackten Schultern. Durch seine schwärzliche Aura, die er nicht vor mir verbarg, machte es den Eindruck, als säße er im Schatten.
    »Warum bist du hier draußen?«
    »Deine Familie hatte mir freundlicherweise angeboten, drinnen zu warten, bis es dir wieder besser geht. Aber ich habe im Haus deiner Familie nichts verloren, darum sitze ich vor der Tür.«
    »Tatsächlich.« Ich war ernsthaft erstaunt. »Und wie lange wartest du schon? Mein Zeitgefühl ist total durcheinander.«
    Der Blick, mit dem Asami mich bedachte, verriet, dass es für ihn bedeutungslos war, wie viel Zeit verstrichen war, seit er mich von der gläsernen Festung weggebracht hatte, und dass ich darüber hinaus die unwichtigste aller Fragen gestellt hatte.
    Ich räusperte mich. »Vielleicht sollte ich mich erst einmal bei dir dafür bedanken, dass du mich im Sturm gehalten hast. Ohne dich wäre ich wohl kaum hier.«
    »Du schuldest mir nichts.« Asamis schwarze Augen glänzten abweisend. »Ich habe dich nicht um deiner selbst willen gerettet. Es war ein Dienst an Samuel.«
    »Ich weiß. Trotzdem«, beharrte ich. »Du hast ein großes Risiko auf dich genommen, ich schulde dir mein Leben.«
    »Dein Leben … eine solche Schuld.« Dieses Ausmaß löste eine Bewegung in Asamis ansonsten so starrem Gesicht aus. »Was gedenkst du, mit diesem Leben anzufangen?«
    Ich versuchte zu ergründen, wie diese Schattenschwinge, an der alles wie mit einer scharfen Feder gezeichnet wirkte, zu mir stand. Sie war nicht mein Freund, das war sie niemals gewesen. Das wusste ich, auch ohne meine Vergangenheit zu kennen.
    »Sag du es mir: Was soll ich tun, wohin soll ich gehen, zu wem soll ich zurückkehren?«
    Asami zögerte. »Deine Unwissenheit ist ein Geschenk, sie macht dich frei. Du könntest die Vergangenheit ruhen lassen. Wenn sie an deine geistige Tür
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