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Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse

Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse

Titel: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse
Autoren: Tanja Heitmann
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klopft, um eingelassen zu werden, dann öffnest du nicht. Denn sie ist voller Schmerz und schrecklichen Erlebnissen. Als ich zum ersten Mal in die Sphäre eingetreten bin, hätte ich alles dafür gegeben, um so frei zu sein, wie du es jetzt bist.«
    Als wäre es meine eigene Erinnerung, leuchteten die peinigenden Erfahrungen vor meinem inneren Auge auf, die Asami als Mensch gemacht hatte. Die Abneigung, die ihm entgegengebracht worden war, war zu einem Teil seines Wesens geworden. Dadurch hatte er nie die Chance gehabt, er selbst zu sein. Ich verspürte Mitleid, aber das behielt ich besser für mich. Wahrscheinlich würde er mich in Scheiben schneiden, wenn ich auch nur andeutete, dass ich ihn für einen armen Tropf hielt, dem ein paar Kuscheleinheiten gut bekommen würden.
    »Und wenn sich dir jetzt die Möglichkeit bieten würde, deine Vergangenheit zu vergessen und ganz neu anzufangen, würdest du sie ergreifen?« Es war eine seltsame Frage, die ich Asami stellte, aber sie drängte aus mir heraus.
    Asamis weiße Finger pressten sich in den Lack der Scheide, und der Bernsteinring an seiner Hand leuchtete auf. »Um keinen Preis würde ich das wollen«, würgte er hervor.
    »Warum?«
    »Seinetwegen.«
    Die Antwort blieb zwischen uns stehen wie ein unbewegliches Monument.
    Seinetwegen. Samuels wegen. Sam.
    Während ich Asamis festen Blick erwiderte, nahm mein Verlangen nach dem Meer eine andere Färbung an. Es ging mir nicht länger um Salz und Wind, mir ging es um jemanden, der dafür stand. Eine erste Welle der Erinnerung umschäumte mich, trug ferne Gefühle an mich heran, Eindrücke, winziger als die Schaumbläschen der Gischt. Das Körnchen, das den Kern des Mädchens Mila ausmachte, wurde von einer neuen Schicht umhüllt, einer kleinen Erinnerung, die in mir haften blieb. Unwillkürlich dachte ich an Sandkörner, die, wenn sie in eine Auster geraten, Schicht um Schicht anwachsen und zur Perle werden. So würde es bei mir sein: Schicht um Schicht würde sich um das erste Erinnerungskorn legen, bis ich wieder Ich war. Der Vorstellung wohnte die rechte Mischung an Sanftheit und Zuversicht inne, die ich brauchte, um diesen Prozess zuzulassen.
    Allem Anschein nach entging Asami meine veränderte Sicht auf die Dinge nicht. »Du wirst zu ihm gehen, richtig?«
    »Ja«, sagte ich, obwohl ich die Entscheidung noch gar nicht willentlich getroffen hatte.
    »Dann soll es wohl so sein, er wartet nämlich auf dich. Aber bevor du gehst, möchte ich dir noch etwas geben.« Asami deutete auf den Bernsteinring an seiner Hand.
    Bernstein. Ein vertrauter warmer Strom durchfuhr meinen Körper, der offenbar mehr wusste als ich. Asami hatte mich diesen Ring umfassen lassen und es war gewesen, als wenn ich Samuel eigenhändig berührt hätte. Nicht nur seine Haut, sondern sein ganzes Wesen. Für einen flüchtigen Moment hatte zwischen mir und diesem Fremden eine Verbindung bestanden, die weit über das hinausging, was ich an Nikolais Seite erfahren hatte. Dieser Ring war dazu in der Lage, sie erneut herzustellen, dessen war ich mir bewusst, während mein Blick von seinen weichen Gold- und Rottönen angezogen wurde.
    »Der Ring gehört dir, Samuel hat ihn dir geschenkt.«
    Asami sprach so leise, dass ich die Worte kaum verstand. Das war aber auch gar nicht nötig, ich begriff ohnehin. Als er Anstalten machte, den Ring abzustreifen, legte ich meine Hand über seine. Der Bernstein schmiegte sich an meine Hand, und ich nahm seinen Wunsch wahr, dorthin zu wandern. Es bedurfte lediglich meiner Aufforderung. Doch etwas anderes kam mir in den Sinn.
    »Mit Nikolais Tod ist auch die Verbindung zwischen uns eingeschlafen, er war wie eine Flamme, die so hell leuchtete, dass ich mich selbst nicht mehr sah. Als sie erlosch, war da zuerst nur Dunkelheit. Dunkelheit und Rauch, ein letztes Überbleibsel der Flamme. Mehr ist nicht geblieben, aber ich bin mir nicht sicher, ob das vielleicht nicht doch sehr viel ist. Die Spanne, in der ich zu Nikolai gehörte, war kurz, aber eine Sache war trotzdem klar: Er hat seine Unsterblichkeit mit mir geteilt, als er seine Pforte auf meinem Traum gründete. Nun frage ich mich: Bin ich wieder ein normaler Mensch, oder werde ich die Berührung einer Schattenschwinge niemals ganz abstreifen können?«
    Asami saß lange reglos da, bevor er reagierte. »Eine Antwort auf diese Frage kann einzig und allein die Zeit bringen. Vielleicht ist dir das Geschenk der Unsterblichkeit geblieben, vielleicht auch lediglich einige Jahre
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