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Schattenprinz

Schattenprinz

Titel: Schattenprinz
Autoren: Clay und Susan Griffith
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Colonel Anhalt schüttelte den Kopf. »Ich glaube, nicht einmal Equatoria hätte die Mittel und Möglichkeiten, ein einzelnes Geschöpf quer durchs besetzte Europa zu transportieren. Wie es scheint, verfügt der Greyfriar über einen außerordentlich langen Arm. Dieses arme Tier hat mehr vom Vampirterritorium gesehen als irgendein Equatorianer.« Er lächelte Adele an. »Mit Ausnahme von Ihnen natürlich, Hoheit. War diese Katze ein Teil Ihrer gemeinsamen Abenteuer?«
    Adele konnte nicht antworten. Stattdessen untersuchte sie den Kater besorgt auf Verletzungen, doch es schien ihm gutzugehen. Tatsächlich sah er ziemlich kräftig aus für ein Tier, das durch die halbe Welt gereist war. Sie schmiegte das Gesicht an die vibrierende Flanke der Katze und schloss die Augen.
    »Kommen Sie, Prinz Simon«, murmelte Anhalt. »Lassen wir Ihre Schwester einstweilen allein.«
    Der Junge schnaubte verärgert, streichelte die Katze ein letztes Mal und kletterte dann vom Sofa. Anhalt und Simon schlüpften aus dem Zimmer, und ihre flüsternden Stimmen verhallten im Korridor.
    Die Katze bewegte sich neugierig, doch dann legte sie ruhig die Pfoten über Adeles Unterarm und machte es sich für ein Nickerchen bequem. Adele kraulte Liebling unterm Kinn, der Stelle, an der er am liebsten gekrault wurde, und spürte etwas Hartes.
    Ein Halsband.
    Das war neu. Adele öffnete die Augen. Um den Hals der Katze lag ein dünnes Lederhalsband. Prüfend steckte sie den Finger darunter, um sich zu vergewissern, dass es nicht zu eng saß, und fühlte etwas Scharfes an der Innenseite. Also nestelte sie an dem kleinen Verschluss herum, für den Fall, dass das Halsband die Katze störte.
    Während das Tier auf ihren Knien einschlief, untersuchte Adele das Halsband. Es war alt und abgenutzt. Nichts Besonderes. Doch an der Innenseite entdeckte sie einen Schlitz im Leder. Das war es, was sie mit dem Finger gespürt hatte. Vorsichtig zog sie mit den Fingernägeln daran, und der Schlitz wurde breiter. Sie zupfte weiter, bis sich die Kanten des Leders teilten und etwas in ihren Schoß fiel.
    Papier. Ein eng gefalteter Streifen Papier.
    Adele keuchte und hielt den Atem an. Sie hob das Papier auf und begann, die verwickelten Lagen auseinanderzufalten, bis sie ein dünnes Blatt abgenutztes, ausge franstes Briefpapier in Händen hielt. Es war mit eleganten Schriftzügen gefüllt. Mit zitternder Hand hob sie es und las:
    Adayla,
    das ist der erste Brief, den ich je geschrieben habe. Dass ein paar Zeichen auf diesem Stück Papier dir in meiner Abwesenheit mein Herz bringen können, ist große Magie. Das Leben ist nun ein beständiger Quell der Wunder.
    G
    Adele nahm Liebling in die Arme und drückte ihn fest an sich. Er gurrte neugierig und öffnete die Augen ein wenig. Während er immer noch sanft in ihrem Arm schnurrte, ging sie hinüber zum Fenster. Sie trat in einen ersten Streifen des warmen Sonnenlichts, lehnte sich an die Säule und betrachtete den Sonnenaufgang. Ihre Augen wanderten zu einem fernen Punkt am nördlichen Horizont.
    Gareth stand auf dem Festungswall von Edinburgh Castle und beobachtete seinen eigenen Sonnenaufgang. Im Arm hielt er das Buch, das er in Marseille erstanden hatte. Er kämpfte mit der lateinischen Sprache, aber er würde nicht aufgeben. Im Augenblick allerdings waren seine Gedanken bei etwas anderem.
    Katzen strichen um seine Knöchel und lagen träge ausgestreckt in der Nähe. Eine von ihnen wählte diesen Moment, um auf die Zinnen zu springen und den Kopf laut schnurrend gegen Gareths Brust zu stupsen. Er lächelte und fragte sich, ob sein Geschenk angekommen war. An dem Tag, an dem Adele fortgegangen war, hatte er den Plan in die Tat umgesetzt.
    Noch Tage danach war Gareth durch die Burg gewandert. Er konnte an nichts anderes denken als an sie. Er hatte seinen eigenen Tod in ihr gespürt, den Tod von allen seiner Art, doch alles, was er sich wünschte, war, dass sie lebte. Und sie vielleicht eines Tages wiederzusehen.
    Seine Hand sank herunter und streichelte die Katze. Er war kein Mann der Extreme. Er war ein Geschöpf der Aufgaben und des Pflichtgefühls. Er hatte nie geliebt oder gehasst, war nie leidenschaftlich oder gelangweilt gewesen. Doch seit Adele in sein Leben getreten war, hatte er das Glück der Extreme kennengelernt.
    Und auch die Verzweiflung.
    Lesen Sie weiter in:

    NACHTZAUBER
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