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Schattenprinz

Schattenprinz

Titel: Schattenprinz
Autoren: Clay und Susan Griffith
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als sie im Tower Schwäche vorgetäuscht hatte, und eindeutig nicht von ihrer Zerbrechlichkeit überzeugt gewesen war. Zum Glück war Clark nicht so clever.
    Der Senator brachte die Ranger zu einer Zeit nach Alexandria, die ganz Lord Kelvins Wunsch entsprach: spätabends und mitten unter der Woche. Der Hof belog das Volk, was den Zeitpunkt von Adeles Ankunft betraf, damit sich keine großen Menschenmengen darum streiten würden, einen Blick auf die heimkehrende Erbin zu werfen. Offensichtlich hatte der Premierminister das Gefühl, dass es am besten war, wenn die Bewohner der Hauptstadt nicht Zeuge wurden, wie ihre schwache zukünftige Kaiserin vom Schiff getragen wurde. Zu sehen, was von ihr nach ihrem schrecklichen Martyrium noch übrig geblieben war, könnte sie schockieren. Zweifellos erwartete Kelvin, dass Adele entweder vor Entsetzen wie erstarrt oder in fieberhaftem Delirium sein würde, den Kopf voll schneeweißer Haare.
    Die Prinzessin mühte sich von ihrem Stuhl hoch und hielt sich an der Reling fest, während sie hinunter in die von Lichtsprenkeln durchzogene Menge starrte und nach ihrem Bruder oder Colonel Anhalt Ausschau hielt. Clark hatte die freudige Nachricht ihrer Ankunft verkündet. Sie konnte die Uniformen der kaiserlichen Garde erkennen, aber nicht Detaillierteres. Vielleicht war sogar ihr Vater anwesend. Das wunderbar vertraute Glühen des von Gaslicht erleuchteten Alexandria, das sich unter ihr ausbreitete, schickte ihr einen freudigen Schauer über die Haut. Andererseits deprimierte der Anblick sie auch. Dies war ihre Stadt, das Herz eines großen Reiches, das einst den größten Teil der Welt zu umfassen schien. Doch nun wirkte es klein auf sie und bevölkert von Leuten, die sich sowohl in ihrer Macht als auch ihrer Ignoranz der Welt gegenüber sicher fühlten. Nicht nur sicher, sondern selbstgefällig. Diese Stadt wollte die Welt regieren, doch sie sah die Welt nur durch den Schleier ihrer eigenen von Sand erstickten Umgebung. Gerade in dem Moment, da Adele am glücklichsten sein sollte, wurde sie von einem überwältigenden Gefühl der Traurigkeit verschlungen. Vielleicht, überlegte sie, waren es die Dunkelheit und die schwüle, warme Luft. Vielleicht würde sie sich am Morgen besser fühlen, nachdem sie sich wieder an ihr eigenes Zuhause gewöhnt hatte.
    »Adele, nimm Platz«, bellte Senator Clark über den rauen Wind. »Ich kann jetzt nicht gebrauchen, dass du über die Reling fällst!«
    Die Prinzessin bedachte ihren Verlobten mit einem scharfen Blick und fixierte ihn, bis er hinzufügte: »Hoheit.« Sie erwog kurz, ihm patzig zu antworten, dass sie an Deck ebenso sicher auf den Beinen stand wie er, hatte aber nicht die Energie dazu. Stattdessen kehrte sie mit einem freundlichen Lächeln zu ihrem Stuhl zurück und setzte sich. Schneidender Schmerz durchzuckte sie. Adele würde es niemals zugeben, aber sie erholte sich nur sehr langsam von ihren Verletzungen. Sie lebte in ständigen Qualen, trotz der besten Tränke, die der Schiffsarzt ihr verordnete. Die unmenschlichen Anstrengungen ihres Abenteuers im Norden hatten sie eingeholt, als der stete Ansturm lebensbedrohlicher Gefahren, der ihren Körper vorwärtsgetrieben hatte, nachließ. Sie musste all ihre Kraft aufbringen, um nicht zu einem besinnungslosen Häufchen zusammenzubrechen.
    Dennoch tröstete sich Adele mit der Tatsache, dass sie bald ihren Bruder wiedersehen würde. Und Colonel Anhalt. Und ihren Vater. Sie würde wieder bei ihrer Familie sein. Außerdem gab es viel, worüber sie sich mit Mamoru unterhalten wollte. Über dessen Netzwerk aus geomantischen Spionen im Norden, Selkirk und die Macht, die sie ebenfalls zu besitzen schien. Ohne Zweifel gab es noch viel mehr zu lernen, als sie sich je hatte vorstellen können.
    Außerdem hatte sie selbst auch vieles weiterzugeben, und das erfüllte Adele mit großer Genugtuung. Sie genoss die Vorstellung, sich vor den um sie versammelten großen Köpfen des Hofes über die Abenteuer und Schrecken auszulassen, während die Zuhörer auf ihre Tatsachenberichte reagierten, indem sie die Stirn runzelten, ihre Schnurrbärte zwirbelten und murmelnd ihre Kraft und ihren Mut bewunderten. Sie brannte darauf, Colonel Anhalts erstaunte Reaktion zu sehen, die Augen weit aufgerissen und mit von der Anspannung weißen Fingerknöcheln, wenn sie ihre blutigen Heldentaten beschrieb. Doch über diese albernen, eingebildeten Träumereien hinaus wolltete Adele vor allem das Wissen ihrer Landsleute über
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